: „Heiße Ware“für die Uni-Klinik
Ein Gutachterteam weist dem ehemaligen Leiter der gynäkologischen Radiologie am UKE veraltete Behandlungskonzepte nach ■ Von Paula Roosen
Wenn eine Krähe einer anderen ein Auge aushackt, muß es sich um einen besonderen Streit handeln: Drei führende Strahlentherapeuten haben dem ehemaligen Leiter der gynäkologischen Radiologie am Universitätskrankenhaus Eppen-dorf (UKE), Hans Joachim Frischbier, erstmalig eine Serie von Behandlungsfehlern nachgewiesen. Der im Zuge des UKE-Strahlen-skandals pensionierte Professor soll Frauen mit Brustkrebs zwischen 1980 und 1993 zusätzlich in der Schlüsselbeingrube bestrahlt haben, obwohl dies nicht mehr dem wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprach. Zudem sah Frischbiers Behandlungskonzept offenbar zu hohe Einzeldosierungen vor.
Die betroffenen Frauen leiden unter schmerzhaften Lähmungen der Arme, da sich in der Schlüsselbeinregion Gewebswucherungen und Ödeme gebildet haben, die auf einen für die Versorgung der Armmuskulatur zuständigen Nervenstrang drücken. Patientenanwalt Wilhelm Funke: „Ein derartig vernichtendes Gutachten habe ich noch nicht in der Hand gehabt.“Funke vertritt die 20 Brustkrebspatientinnen, deren Krankenakten Mitte Juni ausgewertert wurden.
Die für das UKE zuständige Wissenschaftsbehörde hielt die „heiße Ware“einige Tage unter Verschluß – offiziell sollten in der Expertise einige Verwechslungen korrigiert werden. Tatsächlich sah sich die Behörde von dem Ergebnis unter Zugzwang gesetzt und ließ gestern verlauten, daß sie elf Patientinnen Vergleichsverhandlungen anbieten will. Zwei Frauen haben bereits Abschlagzahlungen erhalten.
Wilhelm Funke wirft der Behörde vor, daß der Sachverhalt bereits seit 1993 bekannt ist und die Patientinnen seit vier Jahren um ihr Recht kämpfen. Die Wissenschaftsbehörde will erst im Frühjahr durch einen Fingerzeig des neuen Chefs der UKE-Radiologie, Winfried Alberti, auf die Idee gekommen sein, weitere Strahlentherapeuten anzuheuern: Horst Sack (Essen), Rolf Sauer (Erlangen) und Michael Wannenmacher (Heidelberg) entschlossen sich zu dem für Frischbier vernichtenden Votum und widersprachen damit früheren radiologischen Gutachtern im UKE-Strahlenkomplex. „Funkes Vorwürfe gehen völlig ins Leere“, so Tom Janssen, Sprecher der Wissenschaftsbehörde, „wir haben aktiv aufgeklärt und werden dementsprechend handeln.“
„Ich pfeif' auf die bloße Ankündigung der Stadt, daß sie Schadenersatz leisten will“, betont Wilhelm Funke, der in dieser Hinsicht mit der Behörde schlechte Erfahrungen gemacht hat. Der Anwalt will seinen Mandantinnen empfehlen, sich erst dann auf Verhandlungen einzulassen, wenn das erste Geld auf dem Konto eingegangen ist. Sowohl Funke als auch die Behörde rechnen damit, daß tatsächlich weit mehr als 20 Brustkrebspatientinnen betroffen sind.
1993 war zunächst bekanntgeworden, daß zwischen 1986 und 1990 in der UKE-Radiologie zahlreiche KrebspatientInnen durch zu hohe Strahlendosen schwer geschädigt worden waren. Zwei Jahre später geriet auch Frischbier von der Frauenklinik in Verdacht, Bestrahlungsdosen zu hoch angesetzt zu haben. Bislang wurden an die PatientInnen rund 20 Millionen Mark Schadenersatz gezahlt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen