: In Kambodscha stirbt die Hoffnung auf Frieden
■ In Phnom Penh liefern sich Anhänger der beiden verfeindeten Regierungschefs schwere Kämpfe. Die Einwohner der Stadt versuchen, sich in Sicherheit zu bringen
Bangkok (taz) – Zehntausende Bewohner der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh sind auf der Flucht vor den schweren Kämpfen, die am Wochenende zwischen den Anhängern der beiden verfeindeten Premierminister ausgebrochen sind. Mit Autos, Motorrädern oder zu Fuß versuchten sie, sich auf dem Lande in Sicherheit zu bringen.
Die Hauptstadt war gestern von der Außenwelt abgeschnitten. Auf dem Flughafen Pochentong konnte keine Maschine mehr starten oder landen, auch die Zufahrtsstraßen wurden gesperrt. Die Telefonleitungen in die Stadt funktionierten nicht. Die meisten Geschäfte blieben geschlossen. Die Behörden verhängten eine nächtliche Ausgangssperre. Schwarze Rauchwolken verdunkelten den Himmel im Westen Phnom Penhs, dort sollen Öltanks in Flammen aufgegangen sein. Die Armee, gespalten zwischen Anhängern der beiden Regierungschefs, lieferte sich seit Samstag schwere Gefechte um Militärbasen und Residenzen hoher Funktionäre.
Damit droht der lange schwelende Machtkampf in der Regierung in einen Bürgerkrieg umzuschlagen: Der erste Premierminister, Prinz Norodom Ranariddh, beschuldigte seinen Co-Premier Hun Sen, er wolle die Macht gewaltsam an sich reißen: „Wir betrachten die gegenwärtigen Geschehnisse in Phnom Penh als Staatsstreich“, so der Prinz gestern in einer Presseerklärung. „Mr. Hun Sen hat sich außerhalb des Gesetzes“ gestellt. „Die einzige Regierung ist die, an deren Spitze ich stehe.“
Eine von Co-Premier Hun Sen kontrollierte Radiostation dementierte dies jedoch: „Dies ist kein Putsch.“ Der Sender forderte die Bevölkerung auf, ruhig zu bleiben. Auffällig war allerdings ein Fernsehauftritt Hun Sens am Samstag: Zum ersten Mal erschien der zweite Premier in Militäruniform. Er beschuldigte seinen Rivalen, ein Verräter zu sein und einen Bürgerkrieg vorzubereiten.
Merkwürdigerweise waren beide Premierminister am Samstag offenbar nicht in Kambodscha: Prinz Ranariddh habe Phnom Penh am Freitag verlassen und befinde sich auf dem Weg nach Paris – zu einem Privatbesuch, wie der kambodschanische Botschafter in Bangkok, Roland Eng, erklärte. Allerdings war gestern nicht bekannt, ob er wirklich nach Frankreich gereist war. Hun Sen hingegen ließ mitteilen, er halte sich „zur Erholung“ in Vietnam auf. Wann er wieder zurückkehren würde, blieb zunächst offen.
Die jüngsten Kämpfe hatten am Samstag begonnen. Truppeneinheiten Hun Sens versuchten, Soldaten des Prinzen zu entwaffenen. Sie griffen eine Militärbasis 12 Kilometer westlich des Flughafens an. Sie wird von General Nhiek Bun Chhay kommandiert, der für den Prinzen in den vergangenen Wochen mit den Roten Khmer verhandelt hatte. Hun Sen hat seinem Co-Premier wiederholt vorgeworfen, er habe Tausende ehemalige Rote-Khmer-Soldaten nach Phnom Penh geholt und in seinen Militärbasen untergebracht.
Beide Premiers verfügen über „Leibwachen“ von jeweils mehr als 1.000 mit schweren Waffen ausgerüsteten Soldaten – zusätzlich zu den jeweiligen loyalen Armee- Einheiten. Die Spannung zwischen den beiden Premierministern, die sich die Macht seit den von der UNO 1993 organisierten Wahlen widerwillig teilen, hat sich seit Juni noch verschärft: Damals hatte der Prinz verkündet, er verhandle mit einigen Teilen der Roten Khmer über einen Waffenstillstand. Er werde dem ehemaligen Präsident des Regimes der Roten Khmer, Khieu Samphan, Straffreiheit anbieten, wenn er sich vom berüchtigten Pol Pot lossage und „König und Verfassung“ anerkenne.
Diesen Plan hatte Hun Sen scharf zurückgewiesen. Er fürchtet eine Allianz zwischen dem Prinzen und den Roten Khmer, die immer noch Gebiete an der Grenze zu Thailand kontrollieren. Ein Sondergesandter des Prinzen, Long Sarin, der in der Vergangenheit mit den Roten Khmer verhandelt hat, befand sich am Wochenende in jener thailändischen Provinz, die an das Guerillagebiet jenseits der Grenze anschließt.
Der geheime Radiosender der Roten Khmer goß gestern Öl ins Feuer: Khieu Samphan erklärte, er erkenne die kambodschanische Verfassung an – und erfüllte damit eine der Bedingungen des Prinzen. Wo Pol Pot ist, sagte er nicht. König Norodom Sihanouk, der sich seit Monaten in Peking aufhält, appellierte an die beiden Premiers, die Kämpfe sofort zu beenden. Die Politiker sollten zu ihm nach China kommen, um über eine Lösung zu verhandeln. Jutta Lietsch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen