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Fremdling für die Modernen

Der Architekt Rudolf Schwarz wandte sich mit seinem schlichten Stil gegen Bauhaus und Klassizismus – in Köln wird eine Retrospektive gezeigt  ■ Von Matthias Remmele

Adenauer, so heißt es, hätte den Neubau am liebsten gleich wieder abreißen lassen. Ihn und andere Anhänger einer traditionellen Architektur provozierte das zwischen 1951 und 1958 mitten in der Kölner Altstadt, unweit des Domes erbaute Wallraf-Richartz-Museum. Sein nüchternes Äußeres erinnerte sie an eine Fabrik. Das sei, ließen sie verlauten, weder dem ehrwürdigen Ort noch dem hehren Zweck des Baus angemessen.

Einigen Verfechtern der modernen Architektur hingegen erschien das Museum zu angepaßt und bieder. Sie störten sich an „gotischen“ Wandpfeilern und an Giebeln, die als Reminiszenz auf alte bürgerliche Stadthäuser gelesen werden können. Der Architekt Rudolf Schwarz (1897–1961) aber, zu dessen Hauptwerken das einst so heftig umstrittene Gebäude zählt (heute beherbergt es das Museum für Angewandte Kunst), sah sich durch derlei Kritik bloß bestätigt. Denn weder eine gefällige und nach Aufmerksamkeit heischende noch eine vordergründig „moderne“ Architektur war seine Sache. Im Gegenteil: Das Museum, so erläuterte Schwarz seine Gestaltungsprinzipien, lebe in einem weiten Raum, „zumindest im Zeitalter, denn was dort gesammelt wird, muß sich über den Hingang der Tage und Jahreszeiten hinaus als dauerhaft erwiesen haben. Deshalb muß auch das Haus ins Dauerhafte, für lange Bewährte gebracht sein und doch gegenwärtig sein.“ Der Architekt sei gefordert, „in immer neuer, strengster Prüfung das nur ,Moderne‘, das sich immer wieder in die Planungen drängt, daraus auszuschneiden, jeden Bestandteil ganz ins Gültige, ganz in seine eigene Bedeutung und Leistung zu bringen, jede Form so lange zu reinigen, bis sie das, was nur modern ist, abtat und hinter sich ließ“.

Genau diese Absicht, der zeitliche Abstand macht es offenbar, gelang Schwarz in seinem Kölner Museum in vorbildlicher und tatsächlich anschaulicher Weise. Daß jetzt, aus Anlaß seines hundertsten Geburtstags, gerade hier eine Retrospektive seines Werks präsentiert werden kann, ist ein Glücksfall. Denn eindrücklicher noch als die ausgestellten Zeichnungen, Pläne, Modelle, Interieurs und Fotografien vermittelt das Museum selbst, dessen Herzstück – die Treppenhalle – zu den großartigsten Raumschöpfungen ihrer Zeit gehört, die Qualität der Schwarzschen Architektur.

Schwarz, der sein Architekturstudium an der TH Berlin-Charlottenburg absolvierte und später ein Jahr als Meisterschüler bei Hans Poelzig arbeitete, ist vor allem als Kirchenbauer bekannt geworden. Bereits die Kapelle, die er im Rahmen seiner ersten eigenständigen Arbeit, dem Umbau der Burg Rothenfels zu einer Tagungs- und Begegnungsstätte für die katholische Jugendbewegung „Quickborn“ (1924–28) entwarf, zeichnet sich durch die elementare Klarheit und asketische Erhabenheit aus, die auch seinen späteren Sakralbauten eigen ist. Ein Meilenstein nicht nur im Werk von Schwarz, sondern für die Entwicklung des Kirchenbaus im 20. Jahrhundert überhaupt, ist „St. Fronleichnam“ in Aachen. Von dieser Kirche, die 1929–30 nach einer ungemein intensiven, in der Ausstellung gut dokumentierten Entwurfsarbeit entstand, behauptete Schwarz damals selbst, sie sei „das Kompromißloseste, was es zur Zeit gibt“.

Ihr Hauptschiff, ein hoher rechteckiger Raum, mit schwarzem Boden und schmucklosen weißen Wänden beeindruckt durch die Radikalität der Reduktion und die Harmonie seiner Proportionen. Freilich stieß die Kargheit und Strenge von St. Fronleichnam, die eine Interpretation als „Werkhalle Gottes“ nahelegte, bei vielen auf Unverständnis und Ablehnung. In seinen späteren, vorwiegend in der Nachkriegszeit und meist im Großraum Köln entstandenen Kirchen, von denen in der Ausstellung zahlreiche Beispiele präsentiert werden, hat Schwarz sie abgemildert. Diese Bauten, fast durchweg Variationen von wenigen, in seinem Buch „Vom Bau der Kirche“ theoretisch fundierten Grundformen, zeigen vor allem eines: welche Vielfalt und Poesie in „schlichten“ Bauten stecken kann.

Auch wenn Sakralbauten weit mehr als die Hälfte seiner Aufträge ausmachten, wird man Schwarz mit der Etikettierung „Kirchenbauer“ nicht gerecht. Es zählt zu den Verdiensten der Kölner Ausstellung, daß sie auch seine stadtplanerischen Arbeiten (Generalplanung für Köln 1946–52) und seine wichtigen Profanbauten würdigt: Das Haus der Jugend (1928) und die Soziale Frauenschule (1929–30) in Aachen, die ihn als einen der Meister des Neuen Bauens ausweisen, die schlichten Wohnbauten der 30er Jahre, die er trotz des damals vorherrschenden und staatlich verordneten Heimatstils realisieren konnte; den Wiederaufbau und Umbau der Paulskirche (1946–48) und des Kölner Gürzenich (1949–55), die als Musterbeispiel für die von ihm propagierte „interpretierende Denkmalpflege“ – nicht Rekonstruktion, sondern Fortschreiben der Geschichte mit modernen Formen – gelten dürfen; schließlich das bereits erwähnte Wallraf-Richartz- Museum sowie die wichtigen Wettbewerbsentwürfe für das Düsseldorfer Schauspielhaus und den Berliner Reichstag.

Auf die umfangreiche theoretische und schriftstellerische Arbeit von Schwarz wird man in der Ausstellung nur am Rande hingewiesen. Einige seiner Texte sind aber im hervorragenden Ausstellungskatalog enthalten, in dem Wolfgang Pehnt Leben und Werk von Schwarz mit Sympathie und kritischer Distanz beschreibt, während Hilde Strohl erstmals ein komplettes Werkverzeichnis vorlegt. Ausführlich behandelt Pehnt auch die von Schwarz ausgelöste „Bauhaus“-Debatte von 1953. Mit dem Argument „Eine Sache gelingt nie aus ihrer reinen Sachlichkeit“ wandte sich der Architekt gegen einen um sich greifenden, kruden Funktionalismus, für den er einige Vertreter des Bauhauses, besonders dessen Großmeister Gropius, verantwortlich machte. Seine polemische, mitunter ungeschickt formulierte Kritik an einer aufs Technische verkürzten Moderne kam allerdings einige Jahre zu früh. Mies van der Rohe, den Schwarz von seiner Kritik stets ausgenommen hatte, sah sich deshalb zu einem freundschaftlichen Rat veranlaßt: „Schwarz, Sie haben eine wundervolle Fähigkeit, die Dinge klarzumachen ..., aber etwas, ich meine, man sollte immer nur für etwas kämpfen, nie gegen etwas.“

„Es ist Zeit, an Rudolf Schwarz zu erinnern.“ Mit diesem lakonischen Satz beginnt das Vorwort zum Katalog der Ausstellung. Dabei geht es nicht nur um die Chronistenpflicht anläßlich des Jubiläums. Gemeint ist vielmehr, es sei höchste Zeit, dem Architekten, Städtebauer, Theoretiker und Lehrer Schwarz endlich einen seiner Bedeutung gemäßen Platz in der Architekturgeschichte zu sichern. Diesem Anspruch wird man in Köln auf überzeugende Weise gerecht. Wer die Ausstellung gesehen hat, kann nicht bezweifeln, daß sie auch zur rechten Zeit kommt: Nach den Formspielen der Postmoderne und den ebenso gewagten, wie aufgeregten Extravaganzen des Dekonstruktivismus ist die scheinbar einfache Architektur von Rudolf Schwarz so zeitgemäß, gegenwärtig und aktuell wie selten zuvor.

„Rudolf Schwarz. Architekt einer anderen Moderne“, bis 3. August, Museum für Angewandte Kunst Köln; ab 14. November, Berlin, und ab 10. Februar 1998, München.

Der Katalog von Wolfgang Pehnt und Hilde Strohl (316 S., 48 DM) ist im Cantz-Verlag erschienen.

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