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"Es trifft mehr und andere Leute"

■ Arbeit als Pathosformel: Ein Gespräch mit dem Soziologen Heinz Bude über einige Perspektiven der Arbeitsgesellschaft

taz : Herr Bude, Sie haben vor gut zwei Jahren darauf aufmerksam gemacht, daß die Kategorie des Schicksals plötzlich wieder gesellschaftliche Relevanz erhalten hat. Arbeitslosigkeit kann inzwischen jeden treffen, den Manager wie den Bauarbeiter. Schicksal scheint aktueller denn je.

Heinz Bude: Ich glaube, daß sich die Situation noch verschärft hat. Wir befinden uns weltweit in einer Periode rapiden ökonomischen Wachstums. Es kommen ganz neue Volkswirtschaften und regionale Ökonomien ins Spiel, die im weltwirtschaftlichen System ziemliche Umverteilungen bewirken. Phasen eines solchen Wachstums haben oft einen paradoxen Effekt. In den Ökonomien vor allem der europäischen Länder gewinnen viele, aber gleichzeitig verlieren noch mehr. Neuen Gewinnerschichten stehen neue Verliererschichten gegenüber. Für den Bereich, den der einzelne übersieht, führt das zu dem Problem, daß die Gewinner- und Verliererbilanzen unklar werden. Schicksal ist Ende der 90er Jahre zu einer noch wichtigeren Kategorie geworden, weil sie darüber aufklärt, daß durch beschleunigte Wachstumsprozesse die Deklassierungseffekte immer diffuser werden. Es trifft schlicht mehr und andere Leute als vorher.

Die Kultur der Arbeitslosigkeit, das Ende oder die Zukunft der Arbeitsgesellschaft sind längst Themen des Feuilletons. Ist das modische Konjunktur, oder drückt sich darin ein sozialer Wandel aus?

Ich glaube, daß der Arbeitsbegriff dabei ist, sein Pathos im Moment seines Verschwindens wiederzugewinnen. Im Rückblick auf die große Geschichte der Arbeitsgesellschaft wird klar, daß Arbeit der große Integrator von Gesellschaft war. Arbeit heute ist aber eher zu einem Strukturzusammenhang von prekären Beteiligungen geworden. Mit einer gewissen Panik wird festgestellt, daß Hegel und Marx vielleicht doch recht haben: Arbeit ist Bildung, und Bildung ist Arbeit. Wie sonst soll man sich verstehen, wenn nicht als Arbeitsmensch? Das laboristische Vokabular ist uns selbstverständlich geworden: Trauer- und Traumarbeit, Sozialisations- und Hausarbeit, künstlerische und politische Arbeit. Noch in der Relativierung des Primats der männlichen, abhängigen Erwerbsarbeit hält man an der Klassizität des Begriffs fest. Selbst die „Nicht-Klasse der Nicht-Arbeiter“ (André Gorz) definiert sich über Arbeit. Arbeit ist nun einmal die Pathosformel unserer Existenz.

Ist es denn nicht möglich, einen erweiterten Begriff von Arbeit zu gewinnen?

Ich teile den Optimismus des Tätigkeitsbegriffs nicht, der lange als Alternativbegriff zum Arbeitsbegriff angeboten wurde und in etwa besagte: Wir müssen nur die unterschiedlichen Tätigkeitschancen entdecken, um die Dominanz der Erwerbsarbeit zu relativieren. Wir stehen im Moment in einer fast existenzialistischen Situation. Wir sehen, wie sehr wir an die Idee der Arbeit gebunden sind. Es herrscht ein untergründiger Spätmarxismus vor. Gleichzeitig ist klar, daß das vergeht. Wer sich heute über Arbeit definieren will, merkt sofort, daß das nur noch vorläufig und partiell oder dezisionistisch und totalitär geht.

Arbeit zu haben wird wie ein Glückszustand behandelt. Früher bestimmte Arbeit nicht bloß Klassenbewußtsein, sondern markierte auch die Grenze zur Armut.

Der Begriff von Armut hat sich in unseren Gegenwartsgesellschaften grundsätzlich gewandelt. In der glücklichen Phase der Industriegesellschaften konnte man sich sagen, daß Armut nur deshalb existiert, weil es Reichtum gibt. Die Armen sind arm, damit die Reichen reich sein können. Andererseits konnten diejenigen, die dazugehören wollten, immer noch mit Pathos der Nützlichkeit ihrer Arbeit argumentieren. Die enge Koppelung von Arbeit und Armut existiert nicht mehr. Die Armen belasten alle und stehen nicht mehr in einem funktionalen Zusammenhang zu einer gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Das Irritierende ist, daß jemand, der arm ist, heute nicht mehr sagen kann, ich gehöre zur industriellen Reservearmee. Wer keine Arbeit hat, gelangt sehr schnell in den Status von Überflüssigkeit. Man ist dann nicht mehr zu irgend etwas nutze. Und Überflüssige verursachen nur noch Probleme.

Alle politischen Reden zielen letztlich auf eine Instandsetzung der Arbeitsgesellschaft. Helmut Kohl proklamiert die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000, Roman Herzog appelliert an eine ideelle gesellschaftliche Gesamtarbeit. Kann Vollbeschäftigung noch ein ernstes politisches Ziel sein?

Darin steckt ein spezifisch deutsches Problem. In der deutschen Tradition ist der Bürger in erster Linie der Arbeitsbürger. Die Idee der bürgerlichen Gesellschaft basiert auf der Arbeitsgesellschaft. Das heißt, Beteiligungsrechte am gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang wurden immer über Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit definiert.

Man darf die Bismarckschen Sozialgesetze für die Begriffsgeschichte des deutschen Gesellschaftsverständnisses nicht unterschätzen. Mit dem Knappwerden von Arbeit entsteht die Notwendigkeit einer Definition von Grund und Bedeutung der Bürgergesellschaft. Der Bürger würde sich nicht mehr nur über seinen Status als Arbeitsbürger definieren können, sondern über sein Verhältnis zur Politik. Jedenfalls ist die Bürgergesellschaft in ihrem Zentrum eine politische Gemeinschaft, und Politik kann nicht länger nur über Arbeit definiert werden.

Welche Rolle spielen die Institutionen, die Arbeit verwalten und regulieren?

Wenn ich abermals von der deutschen Problematik ausgehe, dann sind die Institutionen dasjenige, was das System rund macht. Die deutsche Tradition der Arbeitsgesellschaft führt direkt zu einer anderen deutschen Linie, nämlich der Staatsgesellschaft. Wir haben bei uns eine Verbindung von Arbeits- und Staatsgesellschaft, wo man sagen kann, daß die ausreichende Arbeitsversorgung eines jeden die Aufgabe des Staates ist. Insofern impliziert die Reklamation des Arbeitsbürgers auf sein Recht immer auch die Unterwerfung unter den Staat und seine ideologischen Apparate, der ihm diese Möglichkeiten garantieren soll, wenn nicht über Arbeit, dann über gerechte Transfereinkommen. Wir haben im Augenblick die Chance, den harten Komplex aus Arbeits-, Staats- und Bürgergesellschaft in seine Bestandteile zu zerlegen. Ich will weder die Staatsgesellschaft noch die Arbeitsgesellschaft abschaffen, aber die Bürgergesellschaft stärken. Im europäischen Zusammenhang steht die Bundesrepublik vor der enormen Chance, die Bestandteile von Bürger-, Arbeits- und Staatsgesellschaft neu zusammenzusetzen.

Verlangt das nicht auch Institutionen, die weniger Arbeit verwalten als vielmehr Visionen fördern und entwickeln. Arbeitspolitik scheint derzeit aber damit beschäftigt, darüber zu wachen, daß die Arbeitsbürger bzw. die Empfänger von Transferleistungen keinen Mißbrauch betreiben.

Das ist ein erhebliches Problem, weil die Institutionen der staatsbezogenen Arbeitsgesellschaft in Deutschland den Erwerb von Transfereinkommen an außerordentlich strikte Bedingungen koppeln, die den einzelnen in seiner Kreativität in die Illegalität zwingen. Wir müssen wahrscheinlich die Grundidee von Allversorgung fallenlassen. Die Möglichkeit, etwas vom Staat zu bekommen, muß kombiniert werden mit der Bereitstellung von Chancen zur Eigentätigkeit. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Öffnung. Der fürsorgende Wohlfahrtsstaat ist mit einem emphatischen Verständnis politischer Freiheit nicht zu vereinbaren. Das ist für die Organisationssoziologie und die Institutionenphantasie eine ungeheure Herausforderung.

Man kann nicht über die Zukunft der Arbeit sprechen, ohne auf Globalisierung einzugehen. Heißt Globalisierung nicht einfach, daß andere inzwischen etwas genauso gut oder besser machen, worin wir einmal führend waren?

Globalisierung heißt in erster Linie, daß mehr Parteien in dem Spiel mitspielen. Wir können nicht mehr sagen, die deutschen Werftarbeiter bauen die Schiffe besser als die in Korea. Wir haben statt dessen eine Vergleichbarkeit von Arbeitsvermögen, die durch eine weltweite Verteilung von Kapitalressourcen entstanden ist. Globalisierung enthält in sich eine ambivalente Bilanz. Sie bedeutet für viele Gewinn, aber auch für viele Verlust. Davor schrecken wir natürlich zurück. Es ist nämlich nicht von vornherein klar, wer gewinnt und verliert. Globalisierung bedeutet Optionssteigerung, allerdings um den Preis von sozialen Risiken. Einer der merkwürdigen Effekte des Globalisierungsprozesses besteht darin, daß lokale Ökonomien sich global orientieren müssen. Wenn man heute beispielsweise eine gute Küche haben will, ist man an einem globalen Diskurs beteiligt, was Komfort, Preis und Eleganzstandards angeht. Globalisierung bedeutet daher die Erweiterung eines Vergleichshorizonts, und das ist nach meinem Verständnis nichts Schlechtes.

Willy Brandt hat bereits 1972 gesagt, er werde sich dafür einsetzen, daß nicht jeder seinen, aber jeder einen Arbeitsplatz behält. War er ein Vorreiter der Globalisierung?

Ja, es beschreibt das, was Rosabeth Moss Kanter „employability“ nennt. Um arbeiten zu können, dürfen wir uns nicht mehr an einen bestimmten Arbeitsplatz klammern. Wir müssen vielmehr eine Art von Kompetenz erwerben, Arbeitsplätze auch wechseln zu können. Nur solche Wechselkompetenz bringt eine Sicherheit, daß wir auch lebenslang Arbeit haben.

Was heißt das für die eigene Biographie? Bedarf es dazu nicht einer umfassenden Bildungsreform? Berufsausbildung heute impliziert ja immer noch, daß man mit einem Beruf durchs Leben kommt. Das stimmt ja in der Regel nicht mehr.

Ich glaube, daß das 70er-Jahre- Konzept der Schlüsselqualifikation nach wie vor gültig ist. Bildung muß den Versuch des Erwerbs von Schlüsselqualifikationen enthalten, die Wechsel ermöglichen, ohne das Niveau zu senken. Kompetenz ist nicht durch Kontrolle zu gewährleisten. Die Arbeitskräfte der Zukunft sind mit anderen Autonomie- und Verinnerlichungsleistungen belastet. Die Maßstäbe, was eine gute Arbeit ist, können nicht mehr an äußere Instanzen delegiert werden, sie müssen vielmehr internalisiert sein. Was man früher Produktstolz und Arbeitsehre genannt hat, ist zu einem Intelligenz- und Qualifikationsmerkmal geworden.

Der Arbeiter der Zukunft muß ein Gefühl seines Könnens, einen Sinn fürs Kombinieren und die Fähigkeit zum Terminieren haben. Bei diesem Anforderungsprofil werden nicht wenige auf der Strecke bleiben. Aber Würde und Stolz in der Arbeit ist aus einer Ökonomie des Ortes und der Dauer nicht mehr, sondern nur noch aus einer der Person und des Wechsels zu gewinnen. Interview: Harry Nutt

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