: Russisches Desaster einer Papierfabrik
Ein west-östliches Prestigeprojekt, die russische Papierfabrik AO Volga, ist pleite. Weltbank, Herlitz AG und andere Westinvestoren wollen nicht mehr zahlen. Herlitz-Vorstand tritt zurück ■ Von Hannes Koch
Berlin (taz) – Rückzug aus Rußland: Die größte Fabrik für Zeitungspapier des Landes in Nischni Nowgorod ist pleite, weil die westlichen Investoren kein Geld mehr zur Verfügung stellen. Das gab gestern der Berliner Schreibwarenkonzern Herlitz AG bekannt, dem 36 Prozent der Papierfabrik AO Volga gehören. Herlitz setzt seine gesamten Investitionen von über 100 Millionen Mark auf die Verlustliste. Der US-Konzern Dart (40 Prozent) und die Weltbank (10 Prozent) sehen nach Angaben von Herlitz-Sprecher Immo von Fallois ebenfalls keine Möglichkeit, die Firma zu retten.
Damit verlieren 5.000 ArbeiterInnen ihre Beschäftigung. Die Maschinen stehen bereits still. Herlitz war 1995 in das Projekt eingestiegen, nachdem der damalige Gouverneur der Provinz Nischni Nowgorod und jetzige russische Vizepremierminister, Boris Nemzow, vermittelt und die Weltbank Geld für das west-östliche Prestigeprojekt Finanzmittel bereitgestellt hatte. Die Erträge entsprachen jedoch nicht den Erwartungen: Auf dem russischen Markt konnte man nicht genug Papier absetzen, und international sanken die Preise.
Mit dem Projekt scheitert nicht nur ein vielbeachtetes internationales Joint-venture. Auch Herlitz als bundesdeutscher Marktführer für Schulhefte und Aktenordner bringt die Pleite in große Schwierigkeiten. Gerard Jaslowitzer, der Vorstand der Herlitz-Tochter International Trading AG (HIT, München), die sich an der russischen Fabrik beteiligt hatte, ist gestern vorzeitig von seinem Amt zurückgetreten. Daß Jaslowitzer sich auch aus dem Konzernvorstand zurückzieht, war bereits seit Monaten bekannt.
Der russische Verlust schlägt mit rund 87 Millionen Mark auf die Konzernbilanz 1997. Ob ein Gewinn ausgewiesen und eine Dividende an die Besitzer der Herlitz- Aktien gezahlt werden könne, will der Vorstand bei der Hauptversammlung am kommenden Mittwoch erläutern. 1996 erwirtschaftete das Unternehmen mit 5.200 Beschäftigten (ohne AO Volga) einen Umsatz von 1,7 Milliarden Mark. Die Dividende fiel gering aus, nachdem 1995 gar keine gezahlt worden war.
Nach Jahren rasanten Wachstums leidet Herlitz unter Kapitalmangel. Als neue Strategie gab der Vorstand unlängst aus, drei der vier Standbeine – darunter auch die Handelsfirma HIT – ganz oder teilweise verkaufen zu wollen. Nur für das Kerngeschäft, die Herstellung von Schreibwaren, könne man die nötigen Investitionen aufbringen. Nach dem Rußlanddesaster wird aus dem Verkauf der angeschlagenen HIT wohl einstweilen nichts werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen