Liebe ist K(r)ampf

■ Thalia in der Kunsthalle: Uraufführung von Verena Weiss' Hans-Henny-Jahnn-Choreografie „Perrudja“

Die Tänzerin und Choreografin Verena Weiss scheint sich zur Zeit in ihrer grauen Phase zu befinden. Nachdem sie schon am Dienstag auf Kampnagel den letzten Teil von November ganz in Grau vor grauem Hintergrund getanzt hatte, war auch in ihrer neuesten Produktion Perrudja, die am Sonntag im Thalia in der Kunsthalle uraufgeführt wurde, Grau die dominierende Farbe. In einer losen Szenenfolge bearbeiteten Verena Weiss und Thalia-Schauspieler Dietmar König den Fragment gebliebenen Roman von Hans Henny Jahnn um den verunsicherten Per – Perrudja – der sich auf der norwegischen Hochebene in einem Granitschloß gegen die Welt verbarrikadieren will.

Liebe die zum Kampf und Krampf wird, ist das durchgängige Thema dieses Abends. Perrudjas erotische Gefühle für sein Pferd sind davon genauso betroffen, wie die Beziehung zu seiner jungen Frau Signe, die sich ihm in der Hochzeitsnacht verweigert.

Zur Geräuschmusik von Peter Ludwig interpretierten das Duo den Roman mit verbalen und nonverbalen Mitteln. Turbulente Szenen wechselten sich ab mit ruhigeren, in denen die Bewegungen fast meditativ entwickelt wurden. Schauspieler und Tänzerin kommunizierten dabei sehr intensiv miteinander. Dietmar König gelang es nicht nur den Text sondern auch die Bewegungen spannungsvoll zu gestalten. Während Verena Weiss Arme und Oberkörper immer neu zu bewegen wußte, wirkte ihr Repertoire an Bewegungsformen der Beine recht eingeschränkt: Trippelschritte, federnde Knie und immer wieder das leicht angewinkelte, hohe Bein, das an den tanzenden Buddha erinnert.

Wenn man weiß, wie sehr Verena Weiss Requisiten liebt, dann war dieses Stück von Ulrich Schulz (Bühnenbild) und Anja Rabes (Kostüme) mit sparsamen Mitteln ausgestattet. Vor einer Kulisse aus grauer Gaze wurde der Bühnenraum nur von einem Pappkarton, einem Thron aus Kalksandsteinziegeln und einem Stahlrohrgestell, das mit losen Brettern bedeckt war und als Pritsche diente, möbliert. Die Darsteller selbst wirkten in ihren weiß-grauen Trägerröckchen leicht dekonstruktivistisch.

Deutlich war der Produktion anzumerken, daß es sich um eine Auftragsarbeit handelt. Als später Beitrag zum 100. Geburtstag Hans Henny Jahnns hatte Thalia-Intendant Jürgen Flimm die Münchnerin gebeten, sich der sperrigen Prosa des Schriftstellers und Orgelbauers mit den Mitteln des Tanztheaters zu nähern. Zu dem Roman Perrudja als Ganzem aber hat die Choreographin keine klare Position gefunden. Die Gestaltung der einzelnen Szenen schwankt zwischen ernsthafter Auseinandersetzung und ironischer Distanz. Perrudjas Selbstreflexion, die von Eitelkeit in Ekel umschlägt, konterkarierte Weiss mit einer getanzten Zirkusnummer, als wollte sie sagen: „Das habe ich schon so oft gehört, das kann ich nicht mehr ernst nehmen.“

Iris Schneider