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Luft voll warmer Elektronen

■ Robert Wilson zeigt Landschaftsinstallation zu "Persephone" beim Münchner Tollwood-Festival, das nicht mit dem Oktoberfest verglichen werden will

Der Münchner Olympiapark wurde 1945 mit den Kriegsruinen der Stadt aufgeschüttet. Einige Schutthügel wurden bepflanzt, andere mit Beton übergossen, worauf man Sportstadien und einen Fernsehturm baute. In der Mitte liegt ein See. An seinem Nordufer schwimmt an diesem Wochenende eine Bühne, auf der Robert Wilsons „Persephone“ seine Deutschlandpremiere erlebt. Die Szenencollage, die über den griechischen Mythos auf die Zivilisationskrise der Moderne anspielt, fand in der Nacht zum Freitag beim Premierenpublikum nur verhaltenen Beifall.

Wilson begann 1994 mit der freien Adaption des Mythos. Er erzählt die Geschichte einer Dürrekatastrohe, die Totengott Hades auslöst, indem er Persephone, die Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, in die Unterwelt entführt. Als Inspirationsquelle diente auch T.S. Eliots Poem „Das wüste Land“ von 1922, das die Zerstörung der abendländischen Kulturlandschaft durch den Krieg evoziert.

Für die Aufführung suchte Wilson Schauplätze, die nach seinen Worten „aufgrund ihrer Lage und Architektur eine besondere Wirkung ausüben“. Darunter fiel zum Beispiel das antike Stadion in Delphi und nun also der Olympiapark in München. Was ihn daran reizte, leuchtet der amerikanische Regisseur dem Publikum zu Beginn ein: Die sanft geschwungenen Hänge und der kleine See werden mit türkisen, roten und violetten Lichtfeldern zur verfremdeten Schäferidylle. Der Anblick erinnert gerade noch daran, wie die griechischen Amphitheater ihren Zuschauern den Blick auf die reale Landschaft hinter der Bühne öffnen, da schiebt sich wie ein Zeitsprung der Fernsehturm nebenan ins Bild. Die Bühne selbst wird von vier hohen Scheinwerfertürmen bewacht. Unter ihnen warten die Tänzerinnen und Tänzer reglos darauf, ins Spiel gebracht zu werden. Die Szenen bestehen, wie bei Wilson üblich, vor allem aus der Choreographie ihrer stilisierten Gesten mit den Bewegungen des Lichts auf der Bühne und in der landschaftlichen Umgebung. Die Musik von Philip Glass und der Text werden von den Lautsprechern so geleitet, daß der akustische Raum ausschließlich die Zuschauer am Ufer umfaßt. Auf diese Weise entsteht während der anderthalb Stunden eher der Eindruck einer Diashow. Eins nach dem anderen schieben sich die Bilder zur seriellen Musik von Glass auf die Netzhaut. Nur ein Windstoß, der den weißen Schleier von Persephone wehen läßt, oder das Echo eines Martinshorns holt sie hin und wieder zurück in die körperliche Gegenwart.

Die Ästhetik des Stücks ist nicht nur durch den Bezug auf Eliot tief in den 20er Jahren verwurzelt. Die Kostüme erinnern mal an Athletenanzüge aus der damaligen Zeit, mal an Kostüme von Rodtschenko oder Tatlin für das russische Avantgardetheater. Hades' Werbung um Persephone – Wilson zeigt keine Ent-, sondern eine Verführungsszene – gleicht einem futuristischen Manifest. Mit Reizworten wie „schneller Wagen“, „Großstadtlichter“ oder „Neon“ lockt er sie fort. Persephone folgt ihm neugierig und gibt sich mit einer Liebeserklärung an die „warmen Elektronen in der Luft“ ihrerseits als Kind der Moderne zu erkennen.

Die zentrale dritte Szene wird zu einer dadaistischen Nonsens- Einlage in der Unterwelt. Dort sieht es aus wie bei Zeus unterm Sofa: eine Sperrmüllsammlung mit Latten und einem alten Fahrrad, in der die Tänzer Slapstickeinlagen zur Klaviermusik von Rossini vollführen. Allein, die Zuschauer konnten dem keinen Charme abgewinnen. Einige pfiffen, andere nahmen verständnislos ihre Sitzkissen und gingen. Dabei machte gerade diese zentrale Szene Wilsons Verfahren deutlich, die Geschichte, die seine Bilder erzählen, mit ironischer Technik zu brechen. „Persephone“ ist daher ebenso wie seine anderen Arbeiten vor allem eine Ansammlung von Tableaus aus ästhetischen Versatzstücken. Doch der reale Aufführungsort schmuggelt etwas von seiner Geschichte hinein. Wenn Demeter düstere Bilder der Verwüstung im Sinne Eliots zeichnet und wenn Hades mit Parolen der Futuristen auftritt, die dem Faschismus nahestanden, bekommt das auf den Ruinen der „Hauptstadt der Bewegung“ eine besondere Dimension.

Die Aufführung von „Persephone“ bildet den Abschluß des Tollwood-Festivals, das in den letzten drei Wochen sein zehnjähriges Jubiläum allerdings vor allem mit Regenwasser begoß. Das ursprüngliche Sommertreffen bayerischer Kleinkunst- und Musikmatadore hat in den letzten Jahren durch die Zulage eines internationalen Zirkus- und Varietéprogramms seine eigentümliche Physiognomie entwickelt – die Clownsversion zu Oktoberfest und Salzburger Festspielen. In den Biergärten zwischen den Veranstaltungszelten funktioniert der Exotismus in umgekehrter Richtung: Nicht Japaner und Australier bestaunen die merkwürdigen Sitten der Eingeborenen, sondern gestandene Bayern lassen sich bei Hanfbier und afrikanischen Reisgerichten nieder. Auch das Veranstaltungsprogramm ist eine Verquickung von bodenständigen und exotischen Elementen. Da macht sich der „Baierisch Diatonische Jodelwahnsinn“ neben Bobby McFerrin Luft. Die Münchner Performancekünstlerin Sissi Perlinger tritt vor Laurie Anderson auf. Wilson ist längst nicht der einzige internationale Stargast und Vertreter von High-Tech-Kunst im diesjährigen Programm, wenngleich die Veranstalter in seiner Teilnahme offensichtlich einen Adelsschlag sehen.

Tollwood-Sprecherin Cornelia Arras findet den Vergleich mit dem Oktoberfest übrigens absolut nicht p.c. Das Festival sei weder auf kommerzielle Zwecke noch auf Kollektivräusche angelegt. Ihren Angaben zufolge entsprachen die Gewinne 1996 etwa den Produktionskosten in Höhe von rund sieben Millionen Mark. In diesem Jahr belief sich das Budget allein für die rund 240 Veranstaltungen des Sommerfestivals (es gibt noch eins im Winter) auf fünf Millionen Mark. Henrike Thomsen

„Persephone“ ist noch bis einschließlich Sonntag um ca. 22 Uhr im Münchner Olympiapark am Olympiasee zu sehen. Die Eintrittskarten kosten 50 DM (ermäßigt 45 DM)

Informationen über 089-3063180, Karten sind täglich von 11 bis 22 Uhr erhältlich, Reservierungen sind möglich (außer Musikzelt)

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