Parlament bewußt in die Irre geführt?

Interne Papiere der Bonner Hardthöhe belegen: Die Mängel der in Bosnien eingesetzten Harm-Rakete waren den Militärs seit langem bekannt. Opposition fordert mehr Informationen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Die Mängel der Harm-Rakete waren dem Verteidigungsministerium schon bei der Beschaffung der Waffe bekannt und wurden im Rahmen einer Erprobung 1994, bei der drei Flugkörper abgeschossen wurden, erneut bestätigt. Das geht aus internen Papieren der Hardthöhe hervor.

Vor zwei Wochen hatte das ARD-Fernsehmagazin „Panorama“ berichtet, die Harm-Rakete sei bereits mehrfach nach einem Abschuß außer Kontrolle geraten, auch während eines Bosnien-Einsatzes. Dort wurde sie allerdings nicht von der Bundeswehr, sondern von Nato-Partnern abgefeuert. „Die unbeabsichtigte Bekämpfung der Bevölkerung und ziviler Einrichtungen oder eigener und neutraler Truppen und Einrichtungen“ sind einem internen Bericht des Ministeriums zufolge „nicht auszuschließen“.

Dieser Bericht sei „auf Referentenebene“ geschrieben worden und nicht mit der militärischen Leitung abgestimmt, hatte nach dem TV-Beitrag ein Hardthöhe-Sprecher zunächst erklärt. Das Papier trägt jedoch vier Namenskürzel, darunter das von Luftwaffeninspekteur Bernhard Mende. Das Verteidigungsministerium hatte nach der Sendung außerdem erklärt, die deutschen ECR-Tornados, die mit der Harm-Rakete ausgestattet seien, verfügten über zusätzliche technische Absicherungen. Damit sei das deutsche System sicherer als die Harm-Systeme anderer Streitkräfte.

„Alle Darstellungen, denen zufolge der ECR-Tornado die wesentlichen Schwachstellen der Harm-Rakete ausgleichen würde, sind einfach falsch“, sagt dazu der SPD-Wehrexperte Manfred Opel. Er wirft der Hardthöhe vor, das Parlament und den Verteidigungsausschuß bewußt in die Irre geführt zu haben. So habe das Ministerium im Dezember 1996 erklärt, es gebe bei der Harm einen Selbstzerstörungsmechanismus für die Elektronik. Opel: „Diese Information ist unvollständig und ein Betrug am Parlament.“ Selbstzerstörung bedeutet bei der Harm nicht etwa eine Deaktivierung des Zünders, sondern daß die Rakete weiterfliegt und beim Aufschlag irgendwo explodiert, wenn sie ihr ursprüngliches Ziel nicht findet.

Die brisanten Informationen im Zusammenhang mit der Harm- Rakete hatten die Opposition veranlaßt, für Donnerstag eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses anzuberaumen. Da dürfte Minister Volker Rühe der Wirbel um das Hammelburg-Video zum erstenmal ganz gelegen gekommen sein: Der Ausschuß diskutierte so lange über diesen Film, daß für das eigentliche Thema zuwenig Zeit blieb. Zur Erörterung offener Fragen im Zusammenhang mit der Harm-Rakete verwies man auf die Berichterstattergruppe für zukünftige Luftverteidigung.

Nach Ansicht der grünen Abgeordneten Angelika Beer konnten bislang Bedenken hinsichtlich des Flugkörpers nicht ausgeräumt werden: „Sie wurden eher noch bestätigt.“ Wie groß die Mängel der Harm sind, geht aus einem US- Marinefliegerbericht von 1993 hervor. Danach waren im Golfkrieg nur 28 Prozent der Abschüsse erfolgreich. Schon im Herbst 1995 hatten die USA ihren deutschen und italienischen Partnern ein Programm zur Verbesserung der Harm angeboten.

Unklar ist bislang, in welchem Umfang Minister Volker Rühe selbst über die Schwachstellen des Systems unterrichtet worden ist. Nach Ansicht einiger Oppositionspolitiker wollte die Führung der Luftwaffe so gern beim Einsatz in Exjugoslawien dabei sein, daß sie aus Furcht vor einer Ablehnung des Parlaments Mängel lieber verschleierte, als eine Verbesserung des Systems zu fordern.

Im Ausschuß hat Rühe dazu gesagt, in technischen Fragen müsse er sich auf seine Fachleute verlassen. Opel: „Da hat er recht. Aber dann muß er dafür sorgen, daß die ihn vollständig und rechtzeitig informieren.“ In Oppositionskreisen heißt es, ein Untersuchungsausschuß sei schon aus geringeren Gründen eingesetzt worden.