: Für die Suche nach dem „eigenen Leben“
■ An der Kooperationsstelle Universität/Arbeiterkammer geht es noch um arbeitnehmerorientierte Wissenschaft und Bildung, die nicht Geld und Macht unterworfen ist / Interview mit Hans-Georg Isenberg
Hans-Georg Isenberg, geboren am 16.7.1937, ist seit der Gründung einer der Dozenten der „Kooperationsstelle Universität/Arbeiterkammer“. Der Auftrag der Kooperationsstelle spiegelt in idealtypischer Weise seine eigene Biografie: Sein Vater war Bergarbeiter in Kamp-Lintfort, 45 Jahre Leben unter Tage. Der Vater hatte dem Sohn eingebleut: Wenn du nicht ordentlich lernst, mußt du auch auf den Pütt. Hans-Georg hat das verstanden, weil er weiß, was ein Leben unter Tage bedeutet. Nach der Lehre als Stahlbauschlosser machte er auf dem zweiten Bildungsweg Abitur, studierte, machte Examen als Diplomvolkswirt in Berlin, ging zum Frankfurter Institut für Sozialforschung. 1968 lehrte dort noch Adorno selbst, erzählt Isenberg nicht ohne Stolz, die Verkörperung kritischer Sozialphilosophie. „Dann hat mich Hans-Dieter Müller 1976 nach Bremen geholt...“Dieser Hans-Dieter Müller war auch so einer, der heute nicht mehr in die Zeit passen würde: Müller war Leiter der Kooperationsstelle und gleichzeitig Landesvorsitzender der Bremer SPD mit geistig-politischem Führungsanspruch.
taz: Das war damals bei der Gründung eine ganz andere Universität. Kann man die heute noch Studenten erklären?
Hans-Georg Isenberg: Nicht nur für die Kooperationsstelle, für die gesamte Universität gilt der Anspruch, Arbeitnehmern verpflichtete Wissenschaft und auch Lehre zu betreiben ...
Wo steht diese Verpflichtung?
Das steht in der Gründungsakte der Universität und das steht auch im Selbstverständnis dieses Kooperationsvertrages. Wir waren das Bindeglied zur Arbeiterkammer, der Teil, wo der Anspruch überprüfbar und sichtbar wurde, das war Reformuniversität...
Der frühere Wissenschaftssenator Horst-Werner Franke ist stolz, daß er das in den 80ern abgeschafft hat.
Drittelparität – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: Studenten, Hochschullehrer – Assistenten gab es nicht – und sonstige Dienstleister, also einfache Arbeitnehmer, konnten anfangs drittelparitätisch und gleichberechtigt alle Angelegenheiten der Universität bestimmen. Danach kam die Produktionstechnik, kamen die Naturwissenschaften...
Unabhängig von Abstimmungs-Paritäten geht es heute vor allem um Drittmittel.
Hauptsache ist das Geld. Jeder Unternehmer kann sich seine Wissenschaft heute kaufen. Selbst die, die unter anderen Bedingungen angefangen haben und die einen lauteren Lebenslauf vorzuweisen haben. Alles geht an dieser Uni, was Finanzen beibringt. da kann man mit Affen arbeiten, demnächst mit Menschen – Hauptsache da ist Geld. Im Status des Wissenschaftlers stehen die Titel ganz oben, die Veröffentlichungen und dann das Geld, die Menge des Personals. Als diese Uni anfing, da gab es keine Institute, keine Assistenten, das war eine offene, freie Universität, eine Akademie im klassischen Sinne, auf Kommunikation angelegt. Heute konkurriert jeder, schließt sich hermetisch ab, macht seine Geschäftchen, die nicht offengelegt werden, ich möchte nicht wissen, wieviel Geld von Drittmitteln privat akquiriert werden können, es ist alles undurchschaubar, ein Machtspiel von oben bis unten.
Und diese Akademie für Arbeit und Politik ...
... paßt in dieses System nicht hinein. Ich kämpfe dafür, daß das so bleibt. Wir machen ein aufgeklärte politische Bildung auf wissenschaftlicher Grundlage.
Die Akademie hat sozusagen zwei Mütter, die Universität und die Kammer. Die Universität hat sich weit entfernt, die Kammer ist aber auch keine glückliche Mutter mehr...
Im Moment sieht es sogar so aus, daß wir in den Kammern und Gewerkschaften starke Unterstützung für das Festhalten an unserem Bildungsauftrag finden. In der Uni gibt es viele, die meinen, wir müßten stärker ein Forschungsinstitut werden. Für den Rektor ist das eine reine Geldfrage. Und für Bildung gibt es kein Geld. Die Kammern haben sich mit ihrem Bildungsarbeit verrannt, was die Betriebswirtschaft angeht: Sie haben kurzfristige Mittel und haben auf dieser flüchtigen Basis langfristige Verträge, zum Beispiel mit Personal, geschlossen.
Muß man da Abitur haben, um bei der Akademie den zweijährigen Studiengang zu machen? Nein. Das ist ja gerade die Besonderheit.
Werden Arbeitnehmer, der an den Zweijahres-Kursen teilnehmen wollen, dafür in ihrem Beruf freigestellt?
Nein.
Was machen die hinterher mit ihrer Bildung?
Von den 50, 80 Leuten, die bei den Kursen mitmachen, können hinterher einige studieren – Sozialwissenschaften, Ökonomie, Kulturwissenschaften.
Die Qualifizierung baut nicht auf technischen Kenntnissen auf.
Die baut auf auf ihren Berufserfahrungen, ihren Alltagserfahrungen. Es sind aber auch Techniker darunter ...
... aber die studieren hinterher nicht Maschinenbau, sondern Sozialwissenschaften.
Wir haben aber auch viele Frauen, die hier die Chance sehen, eine zusätzliche Qualifikation und Kompetenzen zu gewinnen, die sie wieder in ihre alten Berufe führt. Insofern ist es auch beruflich. Aber es ist vor allem eine gesellschaftspolitische Bildung. Sie arbeiten in ihren Parteien..
Ist einer der Absolventen Betriebsratsvorsitzender oder Gewerkschaftssekretär?
Natürlich.
Das ist also auch eine Qualifikation im Rahmen des gewerkschaftlichen Engagements.
Ja. Aber darunter sind auch Hausfrauen. Es ist ein völliger Mix, sonst käme eine solche Gruppe nie zusammen.
Was soll diese Art von Bildung, bei der es nicht um beruflich nützliches Wissen geht?
Es geht mir um einen aufklärerischen Ansatz von Bildung. Aufklärung, um zu der Kraft zu finden, sich sozial einzumischen und nach eigenen Vorstellungen sein eigenes Leben gestalten zu können.
Interview: Klaus Wolschner
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