Umständlich, aufwendig, unproduktiv

Das Consulting-Unternehmen Mummert + Partner fällte ein vernichtendes Urteil über die Berliner Polizei. Mit einer Reform müßten die Fehler von 25 Jahren ausgebügelt werden  ■ Von Otto Diederichs

Als Innensenator Jörg Schönbohm am 21. April im Innenausschuß den Zwischenbericht der Beratungsfirma Mummert + Partner vorstellte, tat er dies mit der Bemerkung, es handele sich um eine „klare, schonungslose Bestandsaufnahme“. Das war tiefgestapelt, es war ein vernichtendes Urteil für die Berliner Polizei. Darin waren sich alle KommentatorInnen einig. Seit dem Herbst 1995 hatte das Hamburger Consulting-Unternehmen an seiner Untersuchung der Polizeistruktur gearbeitet. 7 Millionen Mark ist dem Senat diese Expertise wert.

Noch ist die Untersuchung nicht abgeschlossen, doch die Ergebnisse der bislang untersuchten Organisationsteile haben es bereits in sich. Klartext wird schon in den ersten Sätzen geredet: „Der Aufwand für die Bekämpfung der Klein- und Bagatellkriminalität ist zu hoch.“ Die Arbeitsteilung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei, so der Bericht weiter, ist zudem umständlich und aufwendig. Im Bereich der Polizeiabschnitte sind ca. 1.800 der insgesamt 7.560 BeamtInnen unproduktiv eingesetzt. Auch die geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei sind, trotz der Demonstrationsfreudigkeit der BerlinerInnen, durch „Einsätze aus besonderem Anlaß“ lediglich zu 48 Prozent ausgelastet. Ganz schlecht kommen die Kontaktbereichsbeamten weg. Daß sie im Straßenbild seit Jahren kaum noch zu sehen waren, wußten die BerlinerInnen ohnehin – nun hat der Senator es schriftlich. Ähnlich vernichtend sind die Untersuchungen bei der Diensthundestaffel („allein 26 Prozent der Arbeitszeit werden für Fahrzeiten aufgewandt“), den Polizeireitern („40 Prozent der Einsätze dienen der Öffentlichkeitsarbeit. Erzielbares Einsparungspotential bei Auflösung der Reiterstaffel: 8,5 Mio. DM pro Jahr“), der Wasserschutzpolizei („Einsparpotential: 63 Stellen“), der Wachpolizei („Einsparpotential: 254 Stellen“) usw.

Die schallende Ohrfeige für die Polizei ist ohne Zweifel berechtigt und lieferte zudem wohlfeile Schlagzeilen. Bei der Beschäftigung mit den Gemaßregelten wurde jedoch übersehen, daß es noch ganz andere gibt, die eher und kräftiger Prügel verdienen: sämtliche Senate der letzten 25 Jahre und ihre Sicherheitspolitik.

Was Mummert + Partner Schönbohm da auf den Tisch gelegt haben, ist die völlige Bankrotterklärung der ersten Polizeireform von 1972. Sie war seinerzeit von der schweizerischen Unternehmensberatung Knight-Wegenstein erarbeitet worden. Ausgangspunkt war der Anstieg der Anforderungen an eine Polizei, die seit den 50er Jahren nicht mehr verändert worden war: Kfz-Zulassungen hatten seit 1955 von rund 120.000 auf 485.000 jährlich zugenommen, die statistisch erfaßten Verbrechen waren von 70.000 auf 170.000 gestiegen, Verkehrsunfälle von 26.000 auf 62.000, und die Zahl der Funkstreifeneinsätze war von 113.000 auf 363.000 geklettert. Dieser Aufgabenvermehrung war die Berliner Polizei, zumal angesichts einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung von 42 auf 40 Wochenstunden, nicht mehr gewachsen. „Zentralisierung“ lautete das Zauberwort. Die damals 113 Polizeireviere im Westteil Berlins wurden in 27 Polizeiabschnitte umgewandelt und die vormals 12 Polizeiinspektionen zu 5 Polizeidirektionen zusammengefaßt. Die Neuorganisation sollte durch „klare Zuständigkeiten [...] Doppel- und Nebeneinanderarbeit verhindern“ und Verantwortung und Zuständigkeiten „nahe an den Ort des Geschehens“ verlegen.

Das ist wohl gründlich danebengegangen. Alle zentralen Elemente der 72er Reform sind heute die Hauptkritikpunkte der Mummert-Untersuchung. Etwa die Ermittlungsarbeit: Sie wurde damals so geändert, daß der sogenannte Erste Angriff von den Direktionen aus erfolgte. Weiterführende Ermittlungen waren im allgemeinen nach oben abzugeben.

Heute wird demgegenüber festgestellt: „Die Arbeitsverfahren sind aufgrund hoher Arbeitsteilung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei und zwischen verschiedenen Dienststellen der Kriminalpolizei umständlich und aufwendig. Es entsteht vermeidbarer Verwaltungsaufwand.“ Genau der aber hatte verhindert werden sollen; kein ausgebildeter Vollzugsbeamter, so das seinerzeitige Versprechen, sollte noch Verwaltungsaufgaben ausführen müssen. Statt dessen sollte der Funkstreifeneinsatz „rund um die Uhr“ erfolgen. Heute ist dieser nun völlig überdimensioniert („Reserve von 60 bis 80 einsatzbereiten Fahrzeugen“) und unflexibel („Reduzierung von Ereignissen in den Nachtstunden nur eingeschränkt nachvollzogen“). Der Kontaktbereichsdienst, damals eigens geschaffen, um den Rückzug der Polizei aus der Fläche auszugleichen, sollte das direkte Bindeglied zwischen Polizei und Bevölkerung darstellen. Heute konzentriert er sich „in hohem Maße auf einen begrenzten Zeitkorridor (Mo–Fr, 8–15 Uhr)“. Seine Präsenz endet, wenn „die Präsenz des Bürgers am Wohnort beginnt“. Bürozeiten also.

Die in der Erstellung 400.000 Mark und in der Umsetzung noch einmal 120 Millionen Mark teure Reform von 1972 ist damit in allen wichtigen Punkten gescheitert. Die Polizei steht heute fast wieder an dem Punkt, wo sie 1972 starten sollte. Das allerdings haben unabhängige Polizeiforscher der Freien Universität Berlin sowie fortschrittliche Teile der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bereits damals vorausgesagt.

Was aus der Umsetzung der neuen Polizeireform am Ende wird, ist noch offen. Im Herbst soll in der Direktion 5 ein „Probelauf“ stattfinden, bei dem das von einem Stab des Polizeipräsidenten erdachte Modell von gemeinsamen Dienstgruppen aus Schutz- und Kriminalpolizei getestet wird.

Dreh- und Angelpunkt jeglicher Veränderung wird in jedem Falle eine Änderung der bisherigen starren Schichtdienstzeiten werden. Eine Neuregelung war zuletzt 1983 versucht worden – sie scheiterte Anfang der 90er Jahre schließlich am Veto des Gesamtpersonalrats. Diesmal, so ist aus der GdP unterderhand zu hören, werde man Dienstzeitänderungen nicht mehr „ausbremsen“, auch wenn dies durch den Wegfall von Schichtzulagen zu Lohneinbußen führen werde. „Arbeitsplatzsicherheit geht vor Lohnerhalt“, heißt es mit Blick auf die vom Senat schon beschlossenen Stellenstreichungen bis zum Jahr 2000 und die weiteren Sparpotentiale des Mummert-Berichts. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter allerdings hat bereits Widerstand angekündigt. Dort weiß man nur zu genau, daß eine erfolgreiche Integration der Kripo in die personalstarke Schutzpolizei zwangsläufig bisherige Führungspositionen kosten wird.

Otto Diederichs ist freier Journalist in Berlin und schrieb in der taz zuletzt über die Vorwürfe von amnesty international gegen die Polizei.