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Alles in Butter in Nordirland Von Ralf Sotscheck

Das Timing war erbärmlich. Nuala aus Belfast, Dozentin an der Technischen Hochschule, hat mit einer Kollegin aus Florida einen Austausch vereinbart. Sie will ab Herbst ein Jahr in Tampa Bay unterrichten, während Carol aus den USA ihre Vorlesungen in der nordirischen Hauptstadt übernehmen soll. Vorige Woche kam sie für einen ersten Kurzbesuch in Dublin an, denn aus den USA gibt es keine Direktflüge nach Belfast.

Nuala holte sie mit dem Auto ab. Schon nach wenigen Kilometern wurde Nuala klar, daß die Sache keineswegs nach Wunsch laufen würde. Carols Wissen über Irland war völlig ungetrübt von jedwedem politischen Hintergrund. Statt dessen wußte sie alles über irische Volksmusik und erwartete zweifellos, daß hinter den Hecken am Straßenrand die Menschen in traditionellen Kostümen züchtige Tänze zu lauer Harfenmusik aufführen würden. Dann kam zu Carols Überraschung die Grenze. Von der Teilung Irlands hatte sie noch nie gehört. Auf der Umgehungsstraße von Newry brannten Lastwagen, die Katholiken ließen ihre Wut über den protestantischen Triumphmarsch aus, der mit großem militärischem Einsatz vor acht Tagen durch ein katholisches Viertel in Portadown gezogen war. „Freudenfeuer“, log Nuala, „am Wochenende ist protestantischer Nationalfeiertag.“ Carol schüttelte den Kopf und wunderte sich, daß die Polizei nicht einschritt.

Aughnacloy war der einzige Grenzübergang, der nicht blockiert war. Und wieder wunderte sich Carol: Warum war der Kontrollpunkt wie Fort Knox gesichert? Nuala vermochte ihr tatsächlich weiszumachen, daß es sich in Wahrheit um eine Wetterstation handele, wo geheime Versuche zur Umleitung des irischen Regens durchgeführt würden.

Die Autobahn jenseits der Grenze war vollkommen leer, die Leute blieben zu Hause, damit ihre Autos nicht als Barrikaden endeten. „In Nordirland gibt es noch nicht so viele Autos“, log Nuala abermals, „da macht es noch Spaß herumzufahren.“ Zu Hause in ihrem vornehmen Viertel in Süd- Belfast angekommen, setzte Nuala sogleich den Fernseher außer Gefecht. Die Zeitung hatte sie in weiser Voraussicht schon vorher abbestellt. So machte sie mit Carol täglich Ausflüge aufs friedliche Land, wobei sie heimlich in ständiger Verbindung mit den Leuten vom Verkehrsfunk stand, um eventuelle Konfliktherde weiträumig umfahren zu können.

Ein kritischer Augenblick kam am Donnerstag abend: Carols Mann rief aus Florida an. Er hatte im US-Fernsehen die Straßenschlachten verfolgt und erkundigte sich nun besorgt bei seiner Frau. Die konnte ihn beruhigen: In Nordirland sei alles in Butter. Nuala pflichtete ihr bei: „Sie wissen doch, wie die Fernsehfritzen übertreiben“, sagte sie. „Sie machen aus einer Mücke einen Elefanten. Ein paar Kinder machen ein Lagerfeuer, und schon heißt es, daß die halbe Stadt brennt.“

Morgen fliegt Carol für sechs Wochen in die USA zurück, bevor sie zum Semesterbeginn mit Sack und Pack nach Belfast umzieht. Während die ganze Welt gebannt auf Nordirland schaute und den eskalierenden Konflikt beobachtete, hat Carol vor Ort davon nichts mitbekommen. Da sage noch einer, in der heutigen Mediengesellschaft verbreiteten sich Nachrichten in Windeseile um den Globus.

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