: Fliehen oder den Mund halten
Nach Hun Sens Sieg über seinen Rivalen Prinz Norodom Ranariddh mehren sich in Kambodscha jetzt die Anzeichen für eine neue Diktatur ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch
Wir haben gerade ein bißchen Flaute“, sagt der tschechische Angestellte des Spielkasinos im Juliana-Hotel von Phnom Penh. An den Roulette- und Bakkarat-Tischen schauen die jungen Croupiers in ihren blauen Westen, sonst bis zum Morgengrauen beschäftigt, um neun Uhr abends gelangweilt zur Tür.
Seit dem Putsch vor einer Woche bleiben die Stammgäste nachts zu Hause. Die Straßen sind ausgestorben, obwohl die Ausgangssperre nicht mehr gilt. In der Dunkelheit warten bewaffnete Räuber in Zivil und in Uniform darauf, Autos, Mopeds oder auch nur ein paar Dollar zu erbeuten.
„Kommen Sie am Nachmittag wieder, da ist es brechend voll“, verspricht der Tscheche. Die thailändischen Geschäftsleute, die sich „darüber beklagen, daß sie nur 50.000 Dollar pro Spiel einsetzen dürfen“, oder die kambodschanischen Offiziere, deren Bodyguards vor der Tür herumlungern, lassen sich den Spaß nicht so leicht verderben.
„Hier sind Sie sicher“, beruhigt der Kasino-Mann, „zu den Besitzern des Hotels gehören auch einige Generäle.“ Wem der Anblick einer Hotellobby voller bewaffneter Soldaten, die kettenrauchend Boxkämpfe im Fernsehen verfolgen, nach piependen Handys greifen, aufspringen, davoneilen, wiederkehren, jungen Prostituierten den Weg zu den Zimmern ihrer Chefs weisen und leicht nach Schnaps riechen, ein Gefühl der Sicherheit einflößt, der ist im Juliana-Hotel richtig.
Die Soldaten gehören unter anderem zur Leibwache des zweiten Premierministers Hun Sen, der seinen Kopremier Prinz Norodom Ranariddh aus dem Amt gejagt hat. Sie sind nicht ohne Grund hier: Das Hotel beherbergt illustre Gäste, die gerade über ihre politische Zukunft nachdenken. Koverteidigungsminister Tea Chamrath zum Beispiel, der zur Funcinpec-Partei des Prinzen gehört, sitzt am Sonntag morgen schon um sechs Uhr in seiner lindgrünen Suite und telefoniert hektisch. Der zierliche 56jährige im Khakianzug war während des Putsches in Thailand und ist am Donnerstag – während viele seiner Parteikollegen ins Ausland fliehen oder in der Stadt untertauchen – zurückgekehrt.
Ein Ministeramt für den Überläufer
Er gehört zu jenen, die nach dem Putsch sofort von dem nach Frankreich geflüchteten Prinzen abgefallen sind – aus Angst, aus Überzeugung oder vielleicht nur, weil sie sonst keine Zukunft mehr für sich sehen. Hun Sen hat ihm den Posten des Vizepremiers und Verteidigungsministers angeboten, Tea Chamrath nahm dankbar an: „Ich will nicht mehr kämpfen.“
Am Abend eilt der Vizegouverneur der nordwestlichen Region Pursat zu seinem Zimmer, auch er ein Funcinpec-Politiker und möglicher Überläufer. Er ist ein höflicher Mann mit tiefen Ringen unter den Augen. „Vielleicht“, sagt er vorsichtig auf die Frage, warum er den Minister aufsuche, „gibt es hier gerade Verhandlungen.“
„Für uns gibt es nur zwei Möglichkeiten“, hatte der Funcinpec- Abgeordnete Ahmad Yahya am Donnerstag gesagt, als noch nicht klar war, ob er und seine Familie es sicher zum Flughafen und ins Ausland schaffen würden. „Entweder wir gehen weg, oder wir arrangieren uns und halten den Mund.“ Alles andere sei zu gefährlich.
Ahmad Yahya, der in den vergangenen Monaten den zweiten Ministerpräsidenten offen kritisiert hat, hofft noch auf die erste Lösung: Er hat sich mit anderen Oppositionellen ins große Cambodiana-Hotel geflüchtet, wo nach den Kämpfen viele Journalisten, Touristen, und Diplomaten untergekommen sind. Die Polizei werde es nicht wagen, ihn unter deren Augen aus seinem Zimmer zu zerren, hofft er. Seine Angst ist nicht übertrieben. Zwei bekannte Funcinpec-Politiker sind bereits ermordet worden. Der Staatssekretär im Innenministerium, Ho Sok, wurde nach offiziellen Angaben nach seiner Verhaftung am Dienstag von „wütenden Leuten“ erschossen, die plötzlich in das Verhörzimmer hereingeplatzt seien.
Der Nachrichtenchef des geflüchteten Prinzen, Chao Samrath, kam tags darauf ebenfalls gewaltsam zu Tode. Die Erklärung der Polizei, er habe Selbstmord begangen, glaubt niemand: „Wer bringt sich um, indem er sich die Zunge durchbeißt?“ kommentiert ein Diplomat entsetzt. Die beiden gehören zu vier prominenten Politikern und Militärs der Funcinpec-Partei, deren Verhaftung Hun Sen noch am Abend seines Putsches gefordert hatte. Auch in den Provinzen fahnden Polizisten nach Anhängern des Prinzen, und Soldaten beschlagnahmen Häuser.
„Ahmad Yahya hat es geschafft“, heißt es am Wochenende in Phnom Penh. Mindestens 15 der 58 Funcinpec-Abgeordneten sind bereits im Ausland, mit ihnen verließen drei Parlamentarier der kleinen „Buddhistisch liberaldemokratischen Partei“ das Land sowie mehrere Provinzgouverneure, Prinzen und Prinzessinnen.
Viele Journalisten sind verschwunden
Die kambodschanische Geschichte ist voll bitterer Pointen: Am leichtesten können jetzt diejenigen ausreisen, die schon einmal geflüchtet waren – vor den Bombardements der US-Amerikaner während des Vietnamkrieges in den 70er Jahren, vor dem Terrorregime der Roten Khmer oder vor der vietnamesischen Besatzung. Denn viele von ihnen haben noch ihren ausländischen Paß aus der Zeit des Exils.
„Ich bleibe“, sagt ein kambodschanischer Journalist, der seit seiner Rückkehr aus Frankreich vor fünf Jahren eine eigene Zeitung herausgibt. Sichtbar erschöpft erscheint er eine Stunde nach der verabredeten Zeit. Seit Montag fährt er nur noch in der Stadt herum, besucht Freunde und Kollegen, schläft nicht mehr zu Hause. Viele Journalisten sind verschwunden. „Ich hoffe, sie verstecken sich nur“, sagt er. Seine Nabelschnur zur Welt ist ein mobiles Telefon, mit dem er überall erreichbar ist.
Kritische Zeitungen erscheinen nicht mehr
Seit den Kämpfen ist noch keine neue Ausgabe seiner Zeitung erschienen. Der Drucker hat sich geweigert, die Walzen anzuwerfen, weil er Angst hat, daß ihm die Polizei das Geschäft dichtmacht. Auch die Mitarbeiter des Journalisten beschwören ihn, kein Risiko einzugehen. Zudem fehlt jetzt das Geld: Anzeigenkunden, darunter einige ausländische Firmen, sind in den letzten Tagen verschwunden, ohne ihre Rechnungen zu bezahlen. „Aber wir dürfen doch jetzt nicht aufgeben“, beharrt er.
Er will eine der wenigen wirklichen Errungenschaften aus der Zeit des UN-Mandats verteidigen: die weitgehende Pressefreiheit. An den Bindfäden, die vor die Kioske in Phnom Penh gespannt sind, hingen, mit Wäscheklammern angeklemmt, täglich Dutzende verschiedener Titel. Immer stehen dort Leute herum, die hier und da blättern und so schnell wie möglich lesen, wenn sie nicht genug Geld haben, eine Zeitung zu kaufen.
Diese Vielfalt ist bedroht. Siebzehn Hun-Sen-kritische Zeitungen sind seit dem Wochenende nicht mehr herausgekommen, berichtet der Journalist. Jetzt bleiben nur noch drei oder vier khmersprachige und eine Handvoll englisch- und französischsprachiger Blätter.
Die Radiosender und Fernsehkanäle der Funcinpec bringen nur noch Musik und Zeichentrickfilme oder übernehmen Programme des Hun-Sen-Funks. Dort wurden nach dem Putsch alsbald Ergebenheitsadressen von Partei- und Massenorganisationen für den Mann verlesen, der die Aktion als „großartigen historischen Sieg der nationalen Armee gegen anarchistische Kräfte“ feiert: Hun Sen.
Menschenrechtler fühlen sich bedroht
Die meisten KambodschanerInnen sind zornig. „Der Regierung ist unser Schicksal völlig egal“, heißt es. „Sie führen ihren Krieg mitten in der Stadt, ohne uns zu warnen.“ Wenig später bittet ein Lehrer darum, im Gespräch nicht zu oft „Hun Sen“ zu sagen. „Die Wände haben Ohren.“ Er berichtet erschüttert, der beliebte und kritische Rundfunkmoderator Ek Mongkul sei verschwunden. Mitten in dessen Wunschliedprogramm am Samstag wurde die übertragung abgebrochen. „Diesmal hat er nicht überlebt“, fürchtet der Lehrer. Vor einiger Zeit sei er schon einmal angeschossen worden. Aber er habe sich nicht einschüchtern lassen.
„Wir sind die nächsten auf der Liste“, sagt ein Menschenrechtler. Die Bibliothek seiner Organisation ist offen, im Büro stapeln sich Bücher über Verfassungsrecht und Wahlgesetz. Seine Gruppe versucht herauszufinden, wie viele Soldaten und politische Gefangene derzeit in Haft sind und wo sie festgehalten werden.
Er zitiert den unheilverheißenden Satz eines Funktionärs der Kambodschanischen Volkspartei Hun Sens, der gerade in der Cambodia Daily erschien: „Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen sind im Augenblick noch sicher, aber ich weiß nicht, wie lange noch.“ Er habe mit seinen Kollegen beschlossen, weiterzumachen, sagt der Aktivist. „Aber es ist gut, wenn ausländische Journalisten bei uns vorbeischauen, um zu sehen, ob wir noch da sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen