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„Wir sind keine Präventionsschauspieler“

■ Eve & Rave, der eingetragene Verein zur Förderung der Technokultur und Linderung der Drogenproblematik, leistete „Erste Hilfe“ im „Chill-Out“-Zelt und klärte über Drogen auf

13.30 Uhr: Die junge Frau hat sich verlaufen. Eigentlich wollte sie jetzt vorne am Ernst-Reuter-Platz sein. Statt dessen stolpert sie durch den Tiergarten und hat die Orientierung verloren. Da stößt sie auf ein großes weißes Zelt. Freundliche Menschen in bunten Klamotten raten ihr, sich doch einen Moment im weißen Zelt auszuruhen, holen Wasser und reden mit ihr.

Sie ist bei „Eve & Rave“ im „Chill-Out“-Zelt gelandet. Zum vierten Mal ist der eingetragene Verein zur Förderung der Technokultur und Linderung der Drogenproblematik auf der Love Parade vertreten. Seit der Gründung 1993 durch den Soziologen Helmut Ahrens bemühen sich die über hundert Mitglieder um gezielte Präventivaufklärung in der Techno- und Partydrogenszene. Die „Safer Use Partydrogen Broschüre“ gab 1994 den Startschuß für eine Reihe von Veröffentlichungen, die in Clubs und Parties direkt unters Raver-Volk gebracht wurden und zu einen verantwortungsvollen Umgang mit Drogen aufrufen. „Wir sind jedoch keine Präventionsschauspieler“, sagt Helmut Ahrens. „Es geht uns darum, die Identität von Techno, Party-Kultur und Drogen öffentlich zu machen.“

Die junge Frau liegt inzwischen im weißen Zelt auf einer Matratze. Die Leute fragen sie, was sie genommen hat. Mittlerweile ist es 14 Uhr. Während die Raver ihre LKWs besteigen, bereiten Susie, Alexander und Joubin von „Eve & Rave“ den Drogen-Info-Stand vor. Neben dem weißen „Chill- Out“-Zelt werden Mineral- und Vitamin-C-Drinks bereitgestellt. Wenige Minuten später ist der Info-Stand zur Party-Attraktion geworden. Besonders beliebt sind die Drogen-Checklisten zum Preis von einer Mark. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden 73 Ecstasy-Proben an ein Schweizer Labor geschickt und dort auf ihre chemische Zusammensetzung getestet. Die Ergebnisse sind manchmal überlebenswichtig. Viele haben Angst vor verunreinigten Pillen. Nach wenigen Stunden sind über 500 Listen verkauft.

Kurz vor 15 Uhr. Joubin steht am Infostand, zwei Schwedinnen sind besonders an der Arbeit und den Broschüren von „Eve & Rave“ interessiert. Sie kaufen alles, was der Stand hergibt. Zum Schluß drücken sie dem verdutzten Joubin ihre Visitenkarte in die Hand. Die beiden Frauen nehmen keine Drogen. Sie sind Mitglieder des Stockholmer Drogendezernats, Abteilung „Rave Komission“. Sie ermitteln direkt vor Ort auf den Parties, erzählen sie, und fischen Drogenkonsumenten ab. In Schweden ist nicht nur der Besitz und Handel mit Drogen strafbar, sondern auch der Konsum.

15.30 Uhr: Der jungen Raverin geht es inzwischen wieder ganz gut. Sie flüstert: „Danke“ und stakst auf ihren silbernen Plateau-Sohlen Richtung Siegessäule davon.

Gegen 16 Uhr: Der Mann ist oben ohne, muskulös und hat kurze Haare. Seine Pupillen sind kaum zu erkennen. „Habt Ihr Pillen oder Pilze?“ Susi erklärt ihm, daß er sich hier über Drogen informieren kann, es hier aber keine zu kaufen gibt. Mit einem „Pillen- und pilzmäßig ist dieses Jahr ja gar nichts los“ verschwindet er wieder. Inzwischen liegt ein Mädchen mit grünen Haaren im Zelt: Kreislaufkollaps. „Zu viel Alk“, meint ihr Freund. Er streicht ihr übers Haar. „Das wird schon wieder.“

16.30 Uhr: Der erste Wagen erreicht den Großen Stern. Vor dem „Chill-Out“-Zelt kommt die Menge in Bewegung. Aufgeregte Schreie. Jubel. Plötzlich ist das Zelt fast leer, nur die Grünhaarige liegt noch immer blaß in einer Ecke. Für sie scheint die Love Parade erst einmal gelaufen. Während sich Tausende von den Wiesen aufmachen, gibt es bei „Eve & Rave“ den ersten Schichtwechsel. Tibor Harrach, von Beruf Pharmakologe und Vorstand von „Eve & Rave“, zieht Zwischenbilanz: Über 200 Liter hat der Getränkestand bis jetzt verkauft. Hunderte ausgepumpte Tänzer konnten mit Obst und Mineralien versorgt werden.

17.30 Uhr: Vor dem Zelt tobt die Masse. Polizei- und Krankenwagen-Sirenen tönen aus allen Richtungen und dazwischen dröhnt das große WummWummWumm in den Park. Am Stand gibt es immer mehr Anfragen nach Schnell-Tests. Ein etwa 30jähriger mit nagelneuen Nike-Turnschuhen und Active-Hose drückt sich seit fünf Minuten vor dem Info- Stand herum. Schließlich faßt er Mut und zeigt verschämt einige Pillen in einem Plastikbeutel: „Könnt Ihr feststellen, was da drin ist?“ fragt er leise. Hans Cousto, der die zweite Beratungsschicht leitet, vertröstet ihn: „Unsere Infos stammen aus einem Labor in der Schweiz. Leider gestatten uns die Behörden nicht, die Pillen hier zu testen.“ Der Mann ist enttäuscht, bedankt sich aber freundlich.

18.30 Uhr: Ein Polizeiwagen bleibt vor dem Infostand in der Menschenmenge stecken. Aus dem Megaphon tönt deeskalierend und einfühlsam: „Liebe Raver- Freunde, macht bitte den Weg frei!“ Eine junge Frau aus Sachsen wird von ihrem Freund ins Zelt gebracht. Sie ist blaß, ihre Beine sind taub. Die beiden werden beruhigt und die junge Frau in eine Decke gewickelt. „Im Vergleich zu den letzten Jahren“, sagt Helmut Ahrens, „kommt es mir so vor, als ob die Probleme mit falscher Drogendosierung abgenommen haben.“ Auch stellten die Leute an den Info-Ständen gezieltere Fragen. „Das zeigt, daß die Konsumenten aufgeklärter sind und unsere Arbeit nicht ganz umsonst ist.“ Timur Diehn und Matthias Zuber

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