Lust, Frust und das Leben ohne Arbeit

50 Absagen. Der Frust steigt. Sozialarbeiter schlägt vor: Statt noch mehr Bewerbungskursen, sollen Jugendliche lieber fit für die Arbeitslosigkeit gemacht werden  ■ Von Knut Henkel

Hochbetrieb im Berufsberatungszentrum des Hamburger Arbeitsamtes – trotz Schulferien. Auch der 16jährige Klaus sitzt am Terminal, er informiert sich über mögliche Berufe und hofft auf neue Bewerbungsadressen. „Ursprünglich wollte ich Bürokaufmann lernen, aber mittlerweile würde ich auch als Maler anfangen. Für mich geht's nur noch um eine Lehrstelle. Auf 19 Bewerbungen hab' ich schon eine Absage gekriegt.“Ähnlich wie Klaus geht es Sanny, der seit Anfang Januar eine Lehrstelle sucht: „Beinahe jeden Morgen trifft im Moment eine Absage ein. Da wird es schwer, sich immer wieder neu zu motivieren.“

Sanny, ein 21jähriger Afghane, der seit acht Jahren in Hamburg lebt, hat bereits knapp 50 Absagen erhalten, ganze zwei Mal wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Doch auch da folgten wenige Tage später die Absagen – meist nur drei Zeilen lang, ohne jede Begründung. „So kann ich nur erahnen, womit es zu tun hat, daß ich abgelehnt wurde. Vielleicht liegt es daran, daß die Unternehmen nahezu perfekte Deutschkenntnisse voraussetzen, ich weiß es nicht – ich kann's nur weiter versuchen.“

Wie Sanny geht es den meisten seiner 21 Klassenkameraden. Als sie vor wenigen Wochen ihre Abschlußzeugnisse von der höheren Handelsschule am Holstenwall erhielten, konnten gerade vier seiner deutschen MitschülerInnen eine Lehrstelle vorweisen. „Zwei von ihnen bekamen ihre Lehrstellen über private Kontakte der Eltern, die anderen beiden haben sich beworben und hatten Glück“, erzählt Sanny. Alex zum Beispiel hat mit ihrer 71. Bewerbung endlich den ersehnten Ausbildungsplatz im kaufmännischen Bereich ergattert.

Düsterer als für Alex sieht es für die weniger qualifizierten SchülerInnen der Hauptschule Slomanstieg im Hamburger Arbeiterviertel Veddel aus: Von den 47 SchulabgängerInnen durften gerade acht sich über eine Lehrstelle freuen. Die anderen waren bis zum Ferienbeginn Mitte Juni noch ohne Lehrstelle.

LehrerInnen und SozialarbeiterInnen sehen in der Frustration, die die Jugendlichen ertragen müssen, bereits ein ernstes Problem: „Für alle, die leer ausgehen, gilt das gleiche – sie sind gefährdet. Das Risiko, daß sie den Kopf in den Sand stecken oder auf die schiefe Bahn geraten, steigt mit jeder Absage“, sagt Detlef Seibert, Sozialarbeiter bei der „Jungen Gemeinde“in Hamburg-Uhlenhorst.

Hans-Peter Peise, Berufsberater am Berufsinformationszentrum (BIZ), hält den frustrierten BewerberInnen die immerhin 1600 offenen Ausbildungsstellen entgegen, die das Arbeitsamt noch zu bieten hat. „Die Lage hat sich etwas entspannt. 250 zusätzliche Lehrstellen wurden uns nach den Aktionen der letzten Wochen gemeldet, und die Zahl der Bewerber ist auf 3420 gesunken.“Zudem verweist er auf die berufsqualifizierenden Maßnahmen des Arbeitsamtes, die den Schulabgängern offenstünden und ihre Aussichten verbessern würden – es gebe also keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Allerdings räumen auch die Berufsberater ein, daß wohl auch im nächsten Jahr nicht ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen werden. Till Kobusch vom Klaro-Jungenprojekt, das ausländische Jugendliche bei der Lehrstellensuche unterstützt, bestätigt: „Wir haben doch jetzt bereits einen Prozeß, wo weniger qualifizierte Jugendliche, wozu zumeist auch ausländische Jugendliche gehören, durch das Sieb fallen.“

Doch auch die Autonomen Jugendwerkstätten, wo Benachteiligte eine Lehre absolvieren können, können diese Lücke nicht füllen: „Unseren 40 Lehrstellen stehen 400 Bewerber gegenüber. Viele derjenigen, die händeringend zu uns kommen, haben eine Qualifikation, die noch vor einigen Jahren den Ansprüchen der Ausbilder genügte. Unsere Aufgabe aber ist es, Benachteiligten wie etwa alleinstehenden Müttern oder Jugendlichen aus schwierigen familiären Verhältnissen, eine Chance zu geben.“

Sanny läßt sich nicht unterkriegen, will sich weiter bewerben, und wenn es in diesem Jahr mit der Lehrstelle nichts wird, geht er zum Abend- oder Wirtschaftsgymnasium. „Irgend etwas muß doch klappen“, hofft er.

Währenddessen fragen sich Sozialarbeiter wie Detlef Seibert, ob es noch sinnvoll ist, Projekte zur Ausbildungsplatzsuche zu machen. „Es werden ja nun nicht mehr Ausbildungsplätze, sondern immer weniger. Wir können den Jugendlichen nur gezielt helfen, einen der schwer umkämpften Plätze zu bekommen, aber eigentlich wäre es pädagogisch sinnvoller, die Jugendlichen fit zu machen für die Arbeitslosigkeit, denn arbeitsmarktpolitisch gibt es kaum Perspektiven. Etwas dafür zu tun, daß sie trotzdem ein Selbstwertgefühl haben, obwohl sie keinen Ausbildungsplatz haben.“