: Zombiegleich vampiristisch
■ In die Sprache gerettet: Ein arte- Abend über Elfriede Jelinek (21.30 Uhr)
Möglicherweise ist sie die meistgehaßte Frau im deutschen Sprachraum: die österreichische Dramatikerin Elfriede Jelinek. „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Peymann – oder Kunst und Kultur?“ stand 1995 auf den Wahlplakaten des Rechtspopulisten Jörg Haider zu lesen. „Nestbeschmutzerin“ nannte man sie, und „Pornographin“. Das sind nur zwei der Vokabeln, mit denen Österreich eine seiner größten Künstlerinnen beschimpft.
„Die gehaßte Frau Jelinek“ nennt denn auch arte seine Dokumentation zu Elfriede Jelineks Leben und Werk, die um 23.15 Uhr vor dem Abschluß des Elfriede-Jelinek-Themenabends läuft. Ein Theaterabend über Elfriede Jelinek – das, so begreifen es die Initiatoren, ist auch ein Abend über demokratische Kultur in Europa.
„Die gehaßte Frau Jelinek“ erzählt zunächst das Drama eines hochbegabten Kindes. Mutter Jelinek, auch eine „gehaßte Frau“, wollte Elfriede zum Wunderkind ausbilden. Das kleine Mädchen absolvierte Ballettstunden und dazu Unterricht auf fünf Instrumenten. Später studiert sie auf dem Konservatorium die Orgel. Elfriede Jelinek sollte eine „Lichtgestalt im Reich der Kunst“, mindestens aber Ballerina oder Pianistin werden. Jelineks jüdischer Vater wurde verrückt und starb im Irrenhaus. Die Dramatikerin erinnert sich an einen schweigsamen Mann, der schließlich ganz verstummte. Elfriede Jelinek sagt, sie habe sich „in die Sprache gerettet, weil das die einzige Form war, die von der Mutter nicht gefördert wurde“. Wo wäre die Welt heute, wenn jeder Racheakt so große Kunst zur Folge hätte?
Jochen Wolfs biographischer Versuch über die Schriftstellerin unterlegt Stationen eines 51jährigen Lebens mit literarischen Texten. Klosterschule, das Landhaus der Großeltern, Konservatorium. Dazwischen stets das stille, schöne, skandalöse Gesicht von Elfriede Jelinek – ein Fin-de-siècle-Gesicht.
Das alles ist bewegend, informativ, bewegt sich aber vollkommen im Rahmen üblicher Kunst-Features. Interessanter sind zwei andere Bestandteile des Themenabends: „Bloß kein Theater“, der Film, der den Abend eröffnet, stimmt aus der Sicht von Schauspielerinnen, die mit Jelineks Texten arbeiten, auf die Fernsehfassung von „Wolken. Heim.“ ein.
Elfriede Jelineks Literatur, wird behauptet, „funktioniert nur in der Gegnerschaft“. Die Figuren ihrer Stücke haben weder Schicksale noch Psychologie; sie sind Träger von Ideen in einem „Theater der Themen“, und sie existieren nur so lange, wie sie sprechen. So schwer erträglich macht die Werke Jelineks, dieser „Apologetin des Untergangs“, „daß gesagt wird, was man besser hätte ruhen lassen“. Bei Elfriede Jelinek wächst unbewältigte deutsche Geschichte immer wieder aus dem Boden, zombiegleich, vampiristisch.
Historisches Rohmaterial, bearbeitet und umgewandelt – das ist nicht nur anstrengende Literatur, sondern oft auch schwer übersetzbar. „Wien-Paris-Vienna“ rekonstruiert den langen Marsch der Werke Jelineks hin zu Frankreichs Bühnen und Verlagen. Claus Peymann hat über Jelinek gesagt, daß sie in der äußersten Oberfläche die größte Tiefe erwischt. Das könnte man auch diesem arte- Abend zum Geleit geben. Anke Westphal
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