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"Er ist ein rotes Tuch"

■ Wollte Barnett Newman, daß Chicagos Mayor Daley eingesperrt wird? Ein Gespräch mit dem Düsseldorfer Museumsdirektor Armin Zweite zur Retrospektive

taz: Was bedeutet für Sie Barnett Newmans politische Seite?

Armin Zweite: Er steht in einer anarchistischen Tradition, die Künstler immer wieder fasziniert hat. Er war ein begeisterter Leser von Peter Kropotkin. 1968 hat Newman die Neuauflage von dessen Autobiographie mit einer großen Einleitung versehen. Früh, in den dreißiger Jahren, bewarb er sich um das Bürgermeisteramt von New York – chancenlos, ganz klar –, aber er formulierte ein großartiges Programm für die Einrichtung kultureller Institutionen. Als er ein Examen, um Kunstlehrer zu werden, nicht bestand, hat er die Prüfungsbedingungen untersucht und ihre Fragwürdigkeit öffentlich gemacht. Newman ist nicht der Künstler, dem es ausschließlich um die Manifestation des Erhabenen ging. Auch zu alltäglichen Fragen hat er immer seine Meinung kundgetan und zivilen Ungehorsam im Sinne Henry David Thoreaus praktiziert. In dem Zusammenhang muß man auch den „Lace Curtain for Mayor Daley“ sehen.

Ist der „Lace Curtain“ eigentlich deshalb in der Ausstellung, weil alle Skulpturen komplett sein sollten, oder wirft die Arbeit ein Licht auf sein übriges Werk?

Mein Anliegen war schon, alle sieben Skulpturen zusammenzubringen. Dazu gehört der „Lace Curtain“. Aber es ist durchaus ein Werk, das aus der Ästhetik Newmans herausfällt und eine besondere Position einnimmt.

Nun ist der Katalog noch nicht publiziert. Aber es gibt zwei Quellen aus dem Museum. Das eine ist ein Werbeleporello, das andere ist ein Kurzführer, der einige Arbeiten interpretiert. Da ist mir aufgefallen, daß im Werbeleporello der „Lace Curtain“ gar nicht erwähnt wird, während er im Kurzführer eine Einzelinterpretation bekommt. Auch bei den Pressefotos, die Ihr Museum anbietet, ist er nicht dabei.

Das hängt damit zusammen, daß das Stück ganz schwierig abzubilden ist. Es ist ein Stahlrahmen mit einem Netz aus senkrechten und waagerechten Stacheldrähten, wobei die rote Farbe Blutstropfen andeuten soll. Darin liegt etwas Erzählerisches, Anekdotisches, gegen das sich Newman in seiner Kunst sonst immer abgeschottet hat, zumindest seit den späten 40er Jahren. Der Bezug auf das aktuelle Geschehen ist eindeutig, die Botschaft unmißverständlich.

Wird denn seine radikale politische Haltung im Katalog eine Rolle spielen?

Zumindest bei der Erläuterung dieses Stückes sicherlich. Das muß man vor dem Hintergrund seiner Haltung sehen. Es ist ja nicht so, daß Newman 1968 – „da war es gerade opportun“ – plötzlich politisch geworden wäre. Newman war Künstler und Bürger. In dieser doppelten Eigenschaft hat er Stellung bezogen. Es heißt im Führungsleporello: „Daley gehört hinter Gitter, lautet stark vereinfacht die Botschaft der Skulptur.“ Da aber in dem Rahmen gar keine Gitter zu sehen sind, sondern Stacheldraht, müßte es dann heißen: „Barnett Newman wünscht Daley in einem Straflager zu sehen.“

„Lace curtain“ heißt „Spitzenvorhang“, bezeichnet jedoch in der Redewendung „lace curtain irish“ affektiertes Gehabe – wobei man wissen muß, daß Daley irischer Abstammung war. Weiterhin ist zu bedenken, daß beim Parteitag der Demokraten in Chicago Stacheldraht eingesetzt wurde, um Demonstranten vom Convention Center fernzuhalten. Offensichtlich hatte Daley die Polizei angewiesen, rücksichtslos gegen die Protestierenden vorzugehen. Claes Oldenburg, beispielsweise, wurde von Polizisten zu Boden geworfen, geschlagen und als Kommunist beschimpft. Er hat dann seine geplante Ausstellung in der Galerie von Richard Feigen abgesagt, nach dem Motto: Mir ist im Moment nicht danach, Witze zu machen. Die Künstler erwogen einen richtigen Chicago-Boykott. Feigen aber meinte, das würde das Establishment überhaupt nicht kratzen. Man müßte eine Gegenausstellung machen. Feigen hat dann Rosenquist, Motherwell, Oldenburg, Newman und andere renommierte Künstler eingeladen, an dieser Ausstellung teilzunehmen. Rosenquist druckte das Porträt des Bürgermeisters Daley auf einen geschlitzten Vinylvorhang – so daß man auf das Bild einschlagen konnte, ohne das Kunstwerk zu verletzen. Barnett Newman gab den „Lace Curtain“ bei seinem Gießer Lippincott per Telefon in Auftrag. Die Ironie der Geschichte: Annalee Newman schenkte das Werk später dem Art Institute in Chicago.

Von dem Sie es jetzt geliehen haben?

Genau.

Im Werbeleporello heißt es: „Wir halten es für wichtig, gerade heute, wo alles gleichzeitig möglich ist und sich alle Maßstäbe und Konturen auflösen, an Barnett Newman zu erinnern.“ Geht diese Formulierung auf Sie zurück?

Ja.

Warum sollten sich heute alle Maßstäbe und Konturen auflösen?

Wenn man die Kunstszene überblickt, dann ist von der Malerei über die Videokunst bis zum Fotografischen viel unterwegs, was erzählerisch und unterhaltend und animierend ist. Newman nimmt in dem Spektrum – wir merken das auch an der Besucherreaktion – doch eine sehr pointierte Gegenposition ein. Radikale Reduktion der formalen Mittel, verbunden mit einem Absolutheitsanspruch der Kunst: Das ist, glaube ich, im Bewußtsein vielfach abhanden gekommen. Künstler, die selbst unterrichten, sagen mir übereinstimmend: Es ist fast unmöglich, die jungen Leute für Barnett Newman zu interessieren. Er ist ein rotes Tuch. Er verlangt eine Seherfahrung, auf die man sich einlassen muß. Das macht Probleme. Es wird nichts erzählt. Nicht um Ablenkung und Zerstreuung geht es, sondern um Konzentration und Intensität der Wahrnehmung. Es gibt wenige Museen in Deutschland, wo Sie ein Werk von ihm sehen können. Barnett Newman ist ein großer Mythos, aber ein hierzulande unbekannter Künstler.

Aber ist nicht Newmans Totalitätsanspruch in irgendeiner Weise auch komisch? In seinem Essay „The Sublime Is Now“ (1948) eilt er auf vier Seiten vom alten Griechenland in die gegenwärtige Situation New Yorks, um seinen Kunstanspruch abzustecken. Welchen Grund sollten wir haben, einer solch exaltierten Argumentation zu folgen?

Dieses Reden vom Erhabenen hat sich in der Tat in der Zwischenzeit ein bißchen selbst erledigt. Kunstgeschichte als Heilsgeschichte mit Yves Klein und Barnett Newman als Propheten, die die Welt zu neuen Triumphen der Spiritualität führen möchten – das gehört wohl der Vergangenheit an. Worum es eigentlich geht, ist ja nicht das Erhabene. Als Betrachter sieht man sich nicht nur mit einem Werk konfrontiert, sondern im Prozeß des Sehens auch mit sich selbst. Das kann keine Reproduktion vermitteln. Der Betrachter muß es selbst erfahren. Interview: Ulf Erdmann Ziegler

Barnett Newman: Bilder, Skulpturen, Graphik. Bis zum 10. August. Der Katalog wird Ende Juli erscheinen und 45 DM kosten

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