: Die Nase voll von der ETA
Zweieinhalb Millionen Spanier demonstrierten in verschiedenen Städten gegen die ETA. Am Samstag will Herri Batasuna auf die Straße gehen ■ Aus Pamplona Dorothea Hahn
Die San-Fermin-Feiern endeten in der Nacht zu gestern mit Tränen. Wie jedes Jahr. Bloß hatten die Tausenden von Basken, die sich vor dem Rathaus von Pamplona einfanden, dieses Mal einen zusätzlichen Grund zum Weinen. Der ETA-Mord an Miguel Ángel Blanco Garrido, dem 29jährigen Ratsherren von Ermua, hatte ihre neun tollen Tage, bei denen tagsüber Stiere und Männer durch die Gassen der baskischen Stadt jagen und abends der Wein in Strömen fließt, überschattet. Erstmals seit den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und baskischen Nationalisten während der Sanfermines von 1978, war die Feier, ein Höhepunkt des baskischen Kulturlebens, deswegen sogar unterbrochen worden. „Hoffen wir, daß das nächste Jahr besser wird“, sagte Pamplonas Bürgermeister pünktlich zu Mitternacht vom Balkon des Rathauses aus. Dann steckten die Menschen zu seinen Füßen je eine Kerze an und zogen sich das rote Tuch vom Hals, das sie neun Tage lang getragen hatten. Wie die Tradition es gebietet, sangen sie weinend und schunkelnd: „Ich Ärmster – die Sanfermines sind vorbei“. Anders als sonst klebten viele anschließend die Kerze auf den Steinboden der Plaza und knoteten Tausende von Halstüchern zu einem blutroten Denkmal für den Ermordeten zusammen. Für viele von ihnen war es die erste öffentliche Meinungsäußerung gegen den Terror der ETA. Am späten Nachmittag desselben Tages hatten in Madrid, Barcelona und anderen spanischen Städten die größten Demonstrationen in Spanien seit dem gescheiterten Putschversuch vom 23. Februar 1981 stattgefunden. Angeführt von sämtlichen Präsidenten (der gegenwärtige und die drei vergangenen) der zwei Jahrzehnte jungen spanischen Demokratie zogen allein in Madrid 1,5 Millionen Menschen durch die Straßen.
Die landesweiten Demonstrationen und vor allem die massiven baskischen Proteste gegen den jüngsten Mord, der die Zahl der ETA-Opfer auf 823 erhöht, gelten als Wendepunkt in der spanischen Geschichte, der einen neuen Umgang mit der ETA und ihrem legalen Arm Herri Batasuna (HB) provoziert. Alle im baskischen Regionalparlament vertretenen Abgeordneten – außer denen der HB – einigten sich am Montag auf eine künftig komplette Isolierung der bewaffneten Nationalisten.
Wenige Stunden später griffen sämtliche im Madrider Parlament vertretenen Parteien (außer den beiden Abgeordneten der HB) die baskische Distanzierung auf. Solange die HB die Attentate der ETA nicht verurteilt, so versichern sie, wird es keinerlei Zusammenarbeit und keinen Dialog mehr mit der HB geben.
Innenminister Jaime Mayor Oreja, der seit dem jüngsten ETA- Mord zu einer der populärsten Figuren Spaniens avancierte, der bei den Demonstrationen viel Beifall erhielt, kündigte neue und härtere Gesetze für den „Kampf gegen den Terror“ an, der nunmehr eine Angelegenheit (fast) aller Spanier ist. Unter anderem will Mayor Oreja vorschlagen, Schnellverfahren für Terroristen einzuführen und „terroristische Drohungen“ zum Delikt zu machen.
Stunden nach dem offiziellen Ende der Sanfermines lieferten sich in Pamplona Anhänger und Gegner von HB Auseinandersetzungen. Das dem Rathaus gegenüberliegende Parteilokal von HB war schon am Wochenende angefackelt worden. An seiner Tür klebten zahlreiche Zettelchen mit der Aufschrift „ETA-Mörder“.
Auch in anderen baskischen Städten sorgte die Gleichung ETA = HB und die Aufrufe zur Distanzierung von der HB, die in 25 der 251 baskischen Rathäuser den Bürgermeister stellt, für gewalttätige Auseinandersetzungen. In Bilbao und San Sebastian mußte die baskische Polizei „Ertzainza“ eingreifen, um zu verhindern, daß HB-Mitglieder gelyncht wurden. Mehrere Menschen wurden verletzt und viele Parteilokale und Bars von HB-Mitgliedern demoliert.
Auch innerhalb der militanten baskischen Nationalististenbewegung zeigten sich am Tag der Beerdigung offene Brüche. So verurteilten Mitglieder der HB-nahen Gewerkschaft LAB den „Tod von Miguel Ángel Blanco Garrido“ und beteiligten sich an dem einstündigen Streik aus Protest dagegen. Knapp 20 Prozent der gewählten HB-Lokalpolitiker scherten ebenfalls aus dem Schweigen der Spitze der Organisation aus und verurteilten das Verbrechen. In der ETA-nahen Tageszeitung Egin veröffentlichten gestern drei Basispriester ebenfalls eine Verurteilung des Mordes und riefen zu Dialog und Verhandlung auf. Bereits am Wochenende hatte ein in Südspanien unter anderem wegen Mordes inhaftierter Etarra einen Hungerstreik gegen das jüngste Attentat begonnen.
Gleichzeitig langten auch die Hardliner zu. In dem baskischen Ort Renteria bei San Sebastian drohen Graffiti einem Lokalpolitiker der konservativen Volkspartei: „Du bist der nächste“.
Die Spitze von HB bezeichnet die neue und massive Politik gegen sich selbst als „Hexenjagd“ und bereitet für Samstag Demonstrationen in mehreren baskischen Städten vor. Nachdem die jüngsten HB-Demonstrationen nur sehr klein waren, ist das eine Gelegenheit, der HB den Puls zu fühlen.
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