piwik no script img

Kampf gegen den Nulltarif

■ BVG-Totalkontrolle am Kotti: 3.400 Personen überprüft. BVG modifiziert Kontrollkonzept, um Schwarzfahrerquote zu drücken. Unmut bei Fahrgästen

Zu einem Schauspiel der besonderen Art hatte am Mittwoch abend die BVG geladen: „Schwerpunkt-Kontrolle“ auf dem Bahnsteig der U1/U15 am Kottbusser Tor. Gegen 18 Uhr riegelte ein Heer von 160 MitarbeiterInnen der BVG, des Industrie- und Handelsschutzes sowie zahlreiche Polizeibeamte den Bahnsteig ab. Wo sonst die bunte Kreuzberger Mischung das Bild bestimmt, prägte BVG-Blau und Polizei-Grün die Optik: Kontrolleure an allen Ausgängen, die traditionellen Vierer- Grüppchen von Kontrolleuren über den ganzen Bahnsteig verteilt und dazwischen Wachschützer mit und ohne Hund sowie Polizeibeamte.

In der zwei Stunden dauernden Kontrolle wurden an diesem Abend nicht nur 307 Schwarzfahrer unter den 3.400 überprüften Personen erwischt. Wer ertappt wurde und sich nicht ausweisen konnte oder weiterer Straftaten verdächtig war, wurde im BVG- Häuschen oder einem Polizeiwagen genauer unter die Lupe genommen. So konnten „eine Urkundenfälschung, zwei Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und ein Verstoß gegen das Ausländergesetz“ festgestellt werden, wie die BVG mitteilte.

Hintergrund der Abriegelaktion: Die durchschnittliche Schwarzfahrer-Quote, die im Juni 3,2 Prozent betrug, ist nach Ansicht der BVG immer noch zu hoch. Nachdem seit Einführung eines neuen Kontrollkonzeptes Ende 1995 bereits mehr als 800 BVG- und Wachschutzkontrolleure unterwegs sind, hatte das Verkehrsunternehmen im März seine Anstrengungen noch einmal intensiviert. Dadurch werde sich die Zahl der kontrollierten Fahrgäste, die im vergangenen Jahr sieben Millionen betrug, erheblich erhöhen, erklärte BVG-Finanzvorstand Joachim Niklas.

Seit dem Frühjahr müssen in Bussen nach 20 Uhr die Fahrscheine wieder beim Fahrer vorgezeigt werden und die besagten „Schwerpunkt-Kontrollen“ an stark frequentierte Umsteigebahnhöfe wurden eingeführt.

Niklas plädierte für härtere Strafen und verwies auf New York: Dort könne man bei wiederholtem Schwarzfahren nicht nur ein Hausverbot aussprechen, sondern auch eine kurze Gefängnisstrafe verhängen. Er monierte: „Wir haben in Deutschland leider ein Rechtsempfinden, daß dies verhindert.“

Den typischen Schwarzfahrer scheint es aber nicht zu geben. Niklas sagte, es gäbe keine „besondere Häufung von Milieus“. Demnach gäbe es auch keine Kriterien, wer kontrolliert werden würde und wer nicht. Er räumte aber ein, daß der einzelne Kontrolleur nach eigenem Ermessen entscheidet, wen er kontrolliert.

Am Kottbusser Tor erhielt man am Mittwoch den Eindruck, daß vorrangig junge Leute, Bunthaarige, Obdachlose und ausländische Menschen ins Visier der Fahnder genommen wurden. Während „normale Bürger“, die sich ohne Fahrschein auf dem Bahnsteig aufhielten, lediglich „verwiesen“ wurden, da der Aufenthalt auf dem Bahnsteig verboten ist, wurden ein junger Ausländer und ein Junkie, die sich ohne Fahrschein auf dem Bahnsteig aufhielten, zur Kasse gebeten.

Nicht nur Punks und die Kreuzberger Szene erregen sich immer wieder über die rüde Art und das bedrohlich Auftreten der Kontrolleure, die sich breitbeinig um die Fahrgäste herumstellen. Ein älterer Passant empört sich laustark über das Verhalten eines Kontrolleurs, der „unfreundlich und arrogant“ gewesen sei und „keine Manieren“ habe. Ein jüngerer Mann bezeichnete die Kontrolleure als „alte Stasi-Schweine“. Ein anderer ärgerte sich darüber, daß er, nachdem er sich 15 Minuten auf dem Bahnhof aufgehalten habe, trotz seiner Monatskarte verwiesen wurde, da man sich auf dem Bahnhof nicht aufhalten dürfe. Eine 59jährige Frau sagte, sie könne die Schwarzfahrer verstehen: „Ich finde die BVG auch zu teuer.“ Eine junge Frau, die gerade erwischt wurde, rechnete vor: „Eine Monatskarte kostet als Azubi 75 Mark. Beim Schwarzfahren werde ich vielleicht einmal im Monat erwischt, das kostet mich 60 Mark.“ Tobias Singelnstein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen