Dokumentation
: Befremdliches Procedere

■ Nicht von oben verordnen: Der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD) über das Verfahren zur erneuten Auslobung des Berliner Holocaust-Mahnmals

Wie berichtet (siehe taz vom 17. und 18. 7. 97), soll die festgefahrene Diskussion um das Berliner Holocaust-Mahnmal durch Ausschreibung eines zweiten Wettbewerbs neu angeschoben werden, zu dem der Senat in der letzten Woche sechzehn ausgesuchte Künstler angesprochen hat. Eine Findungskommission, zu der unter anderem der Architekt Josef Kleihues, DHM-Leiter Christoph Stölzl und der amerikanische Gedenkforscher James E. Young gehören, soll den Auslobern beratend zur Seite stehen. Der Bundestag, der sich in Form eines vom Ältestenrat gebildeten informellen Kreises zunächst an der Debatte beteiligt hatte, wurde dabei auf halber Strecke abgehängt.

Das folgende Schreiben von Peter Conradi, das wir leicht gekürzt dokumentieren, geht den Mitgliedern des informellen Kreises am Montag zu.

Nach den drei Kolloquien in Berlin erklärte der Berliner Kultursenator Peter Radunski am 18.4.1997, der Wettbewerb 1995 sei beendet, seine Ergebnisse würden „so nicht“ realisiert. Der Deutsche Bundestag werde „in das weitere Procedere“ einbezogen. Die Auslober, so der Kultursenator, würden eine Findungskommission auf fachlicher Ebene berufen. Diese solle neun Personen benennen, die um Vorschläge für einen Denkmalsentwurf gebeten werden sollen. Die Entscheidung über die Ausführung der Entwürfe wollten die Auslober bis spätestens Ende 1997 treffen.

Für das weitere Verfahren solle kein wettbewerbsüblicher Leistungskatalog vorgegeben werden. Die eingereichten Arbeiten sollten durch die Findungskommission, ergänzt um je einen Vertreter des Senats von Berlin, der Bundesregierung und des Förderkreises sowie den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, beurteilt werden.

Der Pressesprecher des Kultursenators, Axel Wallrabenstein, erklärte der Presse am 24.6.1997: „Wir haben kein Interesse an einer erneuten öffentlichen Diskussion.“

Am 26.6. 1997 unterrichtete Senator Radunski das „informelle Gremium“, das der Ältestenrat des Deutschen Bundestags zur Beratung der Anträge zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas gebildet hatte. Vorsitzender des Gremiums, dem je ein Mitglied jeder Bundestagsfraktion/-gruppe angehört, ist die Bundestagspräsidentin Frau Professorin Dr. Rita Süssmuth, MdB. Herr Radunski trug die Entscheidung der Auslober und der Findungskommission vor.

Die Mitglieder des informellen Gremiums zeigten sich befremdet über das Vorgehen der Auslober. Die Ankündigung des Kultursenators, der Deutsche Bundestag werde „in das weitere Procedere einbezogen“, sei nicht eingehalten worden. Eine nachträgliche Unterrichtung des Deutschen Bundestags über die Entscheidung der Auslober und der Findungskommission sei keine Einbeziehung.

Senator Radunski erklärte bei dem Gespräch, bei den neuen Verfahren solle nur ein Teil des verfügbaren Grundstücks für das Denkmal benutzt werden. Der Rest solle parkartig als Erweiterung des Tiergartens gestaltet werden. Über die Beteiligung von Landschaftsplanern/Gartenarchitekten an der weiteren Planung gebe es bislang keine Vorstellungen. Der Plan, einen Teil des bisher für das Denkmal vorgesehenen Grundstücks solle dem Staat Israel für den Bau seiner Botschaft angeboten werden, werde nicht weiter verfolgt.

Es ist erfreulich, daß die Auslober die Ergebnisse des ersten Wettbewerbs endgültig zu den Akten gelegt und sich für einen zweiten Wettbewerb entschlossen haben.

Dieser Wettbewerb müßte allerdings so organisiert werden, daß Mißverständnisse und Peinlichkeiten ausgeschlossen werden. Das von den Auslobern gewählte Verfahren ist nicht zweifelsfrei. Der Auslobungstext ist so peinlich wie beim ersten Wettbewerb.

Allen Warnungen und Einwendungen zum Trotz wollen die Auslober an dem bisherigen Grundstück festhalten. Die überdimensionierte Größe, die städtebauliche und geschichtlich banale Lage dieses Grundstücks waren wesentliche Ursachen für das Scheitern des ersten Wettbewerbs. Die Planung eines Denkmals auf diesem autoverkehrsbelasteten, überdimensionierten Grundstück allein durch KünstlerInnen und ArchitektInnen ohne die Beteiligung von LandschaftsplanerInnen und GartenarchitektInnen erscheint mir problematisch. Das Ergebnis des zweiten Wettbewerbs wird zeigen, ob die bisherigen Einwände gegen das Grundstück stichhaltig waren.

Die Kommission ist einseitig zusammengesetzt. Die Professoren Dr. Dieter Ronte, Bonn, und Dr. Christoph Stölzl, Berlin, haben sich mit ihren Beiträgen bei den Kolloquien auf die Vorstellungen der Auslober festgelegt. Diese wird nach meiner Einschätzung als Jury nicht die notwendige Autorität gegenüber der Öffentlichkeit haben, die für einen breiten Konsens über das Denkmal notwendig ist.

Es ist gut, daß neben den Preisträgern des ersten Wettbewerbs eine größere Anzahl weiterer TeilnehmerInnen eingeladen wird. Allerdings habe ich den Eindruck, daß die Vertreter konzeptioneller Kunst nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Obwohl eine große Mehrheit der ständigen Teilnehmer der Kolloquien eine Beteiligung des Deutschen Bundestages am weiteren Verfahren wünschte, wurde der Bundestag entgegen den Ankündigungen von Senator Radunski an den Entscheidungen der Auslober nicht beteiligt. Offensichtlich wollen die Auslober keine Beteiligung des Parlaments. Allerdings soll der Bundestag der Bereitstellung des Grundstücks durch die Bundesregierung zustimmen und die zur Finanzierung des Denkmals notwendigen Mittel bewilligen.

Mit ihren Entscheidungen übernehmen die Auslober allein die Verantwortung für das weitere Verfahren, auch für ein mögliches zweites Scheitern des Projekts. Der Deutsche Bundestag ist für dieses Verfahren und die damit zusammenhängenden Entscheidungen der Auslober nicht verantwortlich.

Die Erklärung der bisherigen Träger, sie wünschten keine erneute öffentliche Diskussion, ist erstaunlich. Offenbar wollen sie auch nach dem Scheitern ihres ersten Projekts nicht begreifen, daß die öffentliche Diskussion ein unverzichtbarer Bestandteil des Projekts ist. Wenn die Auslober glauben, sie könnten das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ von oben verordnen, irren sie sich.

Es bleibt abzuwarten, zu welchen Ergebnissen der zweite Wettbewerb führt. Seine Ergebnisse sollten einen breiten Konsens in der deutschen Öffentlichkeit finden. Scheitert auch dieser zweite Anlauf der bisherigen Träger, dann sollte der Bundestag das Projekt selbst in die Hand nehmen.

Meinen Vorschlag, durch Bundesgesetz eine Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zu gründen, stelle ich einstweilen zurück. Nach Abschluß des laufenden Verfahrens wird darüber erneut zu beraten sein. Peter Conradi, MdB