: Irritation über Namen
■ Schweiz und die Liste der nachrichtenlosen Konten
„Aalberts, R. Joh. London, GB. Acgar, Idmadt, Jona, CH.“ Mit diesen Namen und Wohnorten beginnt die in internationalen Tageszeitungen veröffentliche Liste von „nachrichtenlosen“ Konten in der Schweiz. Weitere 1.754 Namen folgen. Es ist die ungewöhnlichste Anzeige, die seit den Vermißtenlisten des Internationalen Roten Kreuzes in den 50er Jahren in einigen deutschen Tageszeitungen zu lesen war.
Auf den ersten Blick liest sie sich schockierend. Denn handelt es sich bei den Namen nicht vorwiegend um Juden, die vor Beginn des Krieges ihr Geld vor den Nazis in Sicherheit bringen wollten und nach dem Krieg sich nicht mehr melden konnten, weil sie ermordet worden sind? Ist diese Liste, die wie eine Suchanzeige daherkommt, nicht vielmehr eine Traueranzeige? Eindringlicher als Denkmäler zur Erinnerung an sechs Millionen namenloser Opfer des Holocausts lesen sich konkrete Namen mit Angabe des letzten Wohnsitzes. Wer war Dr. David Salmonowitz aus Riga, Lettland? Ist er, wie die meisten lettischen Juden, im Herbst 1941 erschossen worden? Der Massenmord an anonymen Menschen wird plötzlich individuell.
Auf den zweiten Blick drängen sich viele Fragen auf. Über ein Drittel der Personen hatten zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung ihren Wohnsitz in nazisicheren Ländern wie den USA oder England. Handelt es sich dabei um die Eigentümer des Geldes oder um ihre Mittelsmänner? Warum haben die Schweizer Banken die Kontoeröffner nicht früher gesucht? Wie kommt es, daß auf der Liste die Namen von Unternehmen und Prinzen auftauchen, die niemals aus politischen oder rassischen Gründen verfolgt worden sind und deren Erben in jedem Telefonbuch der Welt verzeichnet sind? Und was ist mit den vielen nichtschweizerischen Kontobesitzern passiert, die in der Liste mit Wohnsitz Schweiz auftauchen? Haben die Eidgenossen diese Menschen an die Nazis ausgeliefert? Oder ist diese Liste mitnichten ein Versuch, Licht in die Vergangenheit zu bringen, sondern ein Verschleierungsversuch der Schweizer Schuld nach dem Motto: Da haben wir so ein paar Konten, wo lange nichts mehr eingezahlt worden ist. Die veröffentlichen wir und nehmen damit der vom Jüdischen Weltkongreß angedrohten Sammelklage den Wind aus den Segeln. Anita Kugler
Bericht Seite 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen