: Der den Shakespeare nicht mag
■ Tiger Lillies schluchzen Traditional–Trash im Jungen Theater
Sie inspirieren ihre Rezensenten zu gewagten Fantasiesprüngen, sie wühlen Assoziationen auf an fast alles Kultige, was zwischen Monty Python und Tom Waits sein groteskes Unwesen treibt. Und selbst der Pressetext der Tiger Lillies stelzt nicht schalen Daten entlang daher, sondern ringt um Stil und Farbe. „Troubadour von bizarrer Schönheit“wird dort Martyn Jacques, Stimme und Seele des Trios, genannt. Was ist es, das uns anspornt zum kollektiven Hinabsteigen in unsere poetischen Untiefen? Tiger Lillies wundersame Stilbrüche natürlich.
Martyn Jacques sucht die totale Ergriffenheit, beklagt mit dem Fu-ror christlicher Anteilnahme das Schicksal der geschundenen Kreatur; mal heißt sie Maria, mal heißt sie George. Vor keinen Platitüden schreckt er zurück: „You dream of another day.“Genau, ich trau's mich nur nicht zu sagendenken. Und weil Pathos heute niemand mehr erträgt – alle Welt zu abgebrüht, zu weise, kontrastiert Martyn Jacques seine abgründige Herzenswärme mit allerlei Seltsamkeiten, in die dann weitere Seltsamkeiten eingestreut werden, bis alles ganz furchtbar komisch wird. Publikums-Hit bei Tiger Lillies erstem Abend im Jungen Theater war ein Lied mit strafrelevanten sodomitischen Einschlägen, höchst beliebt also bei Jung und Alt: Martyn möchte so gerne mit einer Fliege schlafen, aber wenn er's tut, ist sie tot; - im Kopf des Zuhörers schälen sich vage Bilder heraus. Und nachher, so geht das Lied weiter, stinkt er ganz furchtbar. Wie soll man sich das nun wieder vorstellen? Seine Maria ist nicht nur schwarz und blau geschlagen, sondern auch noch braun. Wie soll das aussehen? Bilder werden einen Kick über die Erwartungsgrenze hinausgedreht. Jacques liebt den traurig-lustigen Kannibalenfilm „Delikatessen“. Das erklärt viel.
Subtrahiert man von seiner Stimme die gelegentlichen Anfälle von Wimmern oder Lou Armstrong- Schnarren, dann bliebe ein veritabler Counter-Tenor über.
„Ich hatte eine Gesangsausbildung. Zwar nicht an einer Musikhochschule, aber am College.“Martyns Lehrer meinte, mit ein bißchen Training könnte er sich von den King's Singers anwerben lassen. „Aber ich mag das ganze klassische Zeug nicht. Ich mag keinen Shakespeare, interessiere mich mehr für zeitgenössische Kunst.“Bei Greenaway-Filmen aber „schlafe ich ein“. George Bataille hingegen liebt er, nicht die Essays, „theoretische Neugier geht mir ab“, nur die Romane. Einer wird von Pedro Almodovar verfilmt. Den mag er auch.
Jacques privater Kunstkosmos rotiert also genau da, wo Schrilles eben anfängt in Kunst umzuschlagen, nur ja nicht allzu arg (siehe Greenaway).
Konsequent also, daß die Musik der Tiger Lillies gerne ausgeht von auf den Hund gekommenen Traditionals, „Klezmer- und Zigeunermusik, Music Hall, Polka“, von Bassisten Stout mit einem achtbaren Schuhplattler unterstützt.
Das stete Wandern der Gefühle von Schalk zu tierischem (nicht nur Fliegen, auch Hunde, Schafe usw sind involviert) Ernst ist tief eingeritzt in Jacques Mimik, einer Mimik, die sich beeindruckender Fleischesmasse bedienen kann. Die immer schon in großem Staun-Abstand zum Auge gehalte Augenbraue schießt hoch, mal hämisch, mal ängstlich, jedenfalls gern plötzlich. Die Lippen schwenken so schnell aus melancholischer Hängelage über in einseitiges Grinsen und Herzzerrissenheitsschnute, wie man es sonst nur von Babys und Kleinkindern kennt, Die Launen werden noch nicht reglementiert von kontrollierendem Bewußtsein. Vielleicht ist deshalb die Bühne mit allerlei Stoff-und Gummigetier ausgestattet, jenen Freunden der Kindheit, denen noch unsere reine Liebe widerfuhr, ungetrübt von Niederträchten, Egoismen und Eitelkeiten des reifen Lebens.
Mittlerweile ist die Selbstveralberung des Musikers durch die Flohmarktrequisite guter Brauch, von Red Hot Chili Peppers über Freaky Fuckin Weirdoz bis – arg kraß – Green Jelly. Die Lilien wahren Ihren eigenen Stil. Der spottet jeder Beschreibung, dieser Fliegenzirkus muß selbst besichtigt werden. bk
Junges Theater, bis 27. Juli, 20.30 Uhr; Postamt 5, 25. und 26. Juli, 23 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen