piwik no script img

Trotz leichter Kurseinbußen ist ein Ende des Höhenflugs bei den Aktien nicht abzusehen. Für viele stellt sich jetzt die Frage: Lohnt sich der Einstieg noch? Langfristig gesehen stehen Aktienbesitzer meist auf der Gewinnerseite. Von Nicola Liebert

Viele hoffen auf das schnelle Geld

An der Börse gilt derzeit die Regel: Dabeisein ist alles. Das setzt einen wunderbaren Kreislauf der Geldvermehrung in Gang: Die Kurse steigen, was der beste Beweis für die phantastische Ertragskraft von Aktien zu sein scheint. Folglich setzt ein Run auf Aktien ein, was deren Kurse zwangsläufig noch höher treibt. Am Mittwoch machte der Aktienindex Dax den größten Sprung seiner Geschichte auf 4.406 Punkte, 80 Prozent mehr als vor Jahresfrist.

Schon vor gut zehn Jahren beschrieb der Altmeister der Spekulation, André Kostolany, eine Situation, die der heutigen gleicht. Damals setzte ein nie dagewesener Optimismus gegenüber den Aktien ein, plötzlich wollte jeder an der Börse mitmischen. Dann kam der Chrash vom Oktober 1987. Was dann geschah, hatte Kostolany kurz zuvor vorausgesagt: „Die Sparer benehmen sich wie Alkoholiker – frühmorgens haben sie einen Kater, wenn sie am Abend vorher zuviel Alkohol getrunken haben, schwören, nie wieder ein Glas anzurühren; doch abends um sieben Uhr wagen sie einen Cocktail, um acht ein Glas Wein, um zehn ein Glas Whisky usw. Um zwölf sind sie wieder genauso betrunken wie am Vorabend.“ Mittlerweile macht sich die Befürchtung breit, daß an den Börsen wieder kurz vor Mitternacht ist. Entsprechend zittrig fühlten sich die Spekulanten, als gestern der Dax ganz auf 4.335 Punkte nachgab – eine völlig normale Entwicklung nach einem Kurssprung.

Nach dem Schwarzen Montag anno 1987 legten die deutschen Anleger ihr Geld erst recht auf dem Sparbuch oder bestenfalls in sicheren Anleihen an. Nur knapp sechs Prozent ihres Vermögens haben die Deutschen 1996 in Aktien angelegt – und darin ist die Telekom-Kaufeuphorie vom vergangenem November schon enthalten.

Jetzt allerdings scheint die Stimmung vieler Privatanleger umgeschlagen zu sein – weniger aufgrund der unattraktiv niedrigen Zinsen als vielmehr dank der Werbung für die Telekom- und die Pro7-Aktien, schätzen viele Anlageberater. Auch die Aktienfonds melden Rekordnachfrage: Im ersten Halbjahr 1997 konnten sie 15,6 Milliarden Mark neue Mittel sammeln, gab gestern der Verband der Investmentgesellschaften bekannt. Doch in die für Privatsparer gedachten Publikumsfonds mit ausschließlich deutschen Aktien sind nur 1,6 Milliarden Mark geflossen – ein Klacks im Verhältnis zu den über eine Billion Mark, die an den deutschen Börsen insgesamt angelegt sind.

In Anbetracht dieser Zahlenverhältnisse muß ein Anlageberater der Commerzbank lachen, als er gefragt wird, ob die plötzlich erwachte private Gier nach Aktien den Boom ausgelöst habe. „Ich muß meine Kunden nach wie vor geradezu überreden, überhaupt mal über Aktien nachzudenken.“ Dennoch locken deutsche Aktien viele Investoren – Unternehmen und Versicherungen vor allem: Sowohl die niedrigen Zinsen als auch die aufgrund der niedrig bewerteten D-Mark guten Exportchancen bescheren den Unternehmen beste Gewinnaussichten.

Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut freut sich jedenfalls über das erwachende Interesse an Aktien. Sein Argument: Langfristig sind deren Renditen unschlagbar. Somit sei die Börse – Boom hin, Crash her – der ideale Ort, um sein Geld für die spätere Aufbesserung der Rente anzulegen. Wer sein Geld vor 50 Jahren investierte, konnte sein Vermögen mit einem Aktienmix, der dem aus 30 Unternehmen bestehenden Dax entspricht, bis heute um durchschnittlich 14,5 Prozent im Jahr vermehren. Festverzinsliche Anleihen brachten dagegen nur 3,7 Prozent. Nur wer sein Erspartes zu einem ganz bestimmten Termin braucht, vielleicht für den Hauskauf im nächsten Jahr, sollte die Finger von Aktien lassen.

Ob auch jetzt, wo der Dax nie gekannte Höhen erreicht hat, ein Einstieg in Aktien noch sinnvoll ist, darüber kann – das ist das Wesen der Börse – nur spekuliert werden. Optimisten glauben, daß es für die Aktienkurse angesichts niedriger Zinsen, des teuren Dollars und hoher Unternehmensgewinne eigentlich nur eine Richtung geben kann: aufwärts.

Die Pessimisten halten dagegen, die Aktien seien schon jetzt überbewertet. Das Verhältnis von Aktienkursen zu Unternehmensgewinnen sei lediglich 1993 und 1994 höher gewesen – und damals kam es denn auch zu einer „Kurskorrektur“: Die Rendite brach 1994 um sieben Prozent ein. Mit einer gewissen Konsolidierung (börsianerdeutsch für sinkende Kurse) rechnen inzwischen viele Experten. Das aber könnte der Moment sein, in Aktien einzusteigen. Immer getreu der alten Börsenweisheit: Kaufe billig, verkaufe teuer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen