Kriegsruf auf Kneipentour

Am 1. August feiert die Heilsarmee 100jähriges. Kapitän Korneffel zog los, mit Spendenbüchse und  ■ Barbara Bollwahn

Wolfgang Korneffel wirft einen letzten Blick in seine Tasche: Das Stullenpaket ist gut verschnürt, die etwa hundert Zeitschriften laufen nicht Gefahr, Fettflecke abzubekommen. Der 45jährige ist Kapitän der Heilsarmee. Jeden Freitagabend klappert er Dutzende von Bierpinten und Edelrestaurants zwischen Wittenberg- und Adenauerplatz ab, um Spenden zu sammeln. An diesem Freitag abend verteilt er in Begleitung seiner Frau Petra den Kriegsruf, die offizielle Zeitschrift der Heilsarmee, die gerade als Nr.28 im 107. Jahrgang herausgekommen ist.

Mit den Worten „guten Abend, eine Spende für die Heilsarmee“ beginnt Kapitän Korneffel seine „Kneipentour“ im „Bistro Wittenbergplatz“. Einige zücken das Portemonnaie und stecken wortlos einige Münzen in die rotgelbblaue Blechbüchse. Bei der Zeitung winken viele ab. Im Fischrestaurant „Roter Sand“ teilen sich Wolfgang und Petra Korneffel das edle Lokal auf. Sie fängt am hinteren Ende an, er bleibt im Tresenbereich. „Die haben doch so tolle Lieder, nicht?“ fragt einer und greift zur Geldbörse. „Heilsarmee ist immer gut“, sagt eine Frau am Nebentisch. „Alles Gute und Gott segne Sie!“ bedankt sich Petra Korneffel. Im nächsten Lokal, dem „Bistro Belmont“ ist die Ausbeute eher dürftig. An vielen Tischen wird gerade gegessen. „Es ist unhöflich, die Leute beim Essen zu stören“, sagt Petra Korneffel und macht einen Bogen um die dampfenden Teller. Im Prager Gasthaus „Schwejk“ zückt eine Frau schon das Portemonnaie, bevor Petra Korneffel auch nur ein Wort gesagt hat. Im „Tucherstübchen“ wird das Ehepaar von einem Mann begrüßt, der sich gut an ihren Vorgänger erinnert, der vor zwei Jahren nach Freiburg versetzt wurde.

Per „Marschbefehl“ bekommen die Hauptamtlichen in der Regel nach drei bis fünf Jahren ein neues Hauptquartier zugewiesen. „Wir haben ein rotierendes System“, erklärt Petra Korneffel, „fast wie bei den Grünen“, fügt die 37jährige lachend hinzu. Seit zwei Jahren leiten die Korneffels das Heilsarmee-Korps Schöneberg. Sie gehören zu den etwa einhundert Offizieren in Deutschland, die als staatlich anerkannte ordinierte Geistliche auch Trauungen, Konfirmationen und Beerdigungen durchführen können.

Seit sieben Jahren arbeiten sie als Hauptamtliche. Sechs Tage die Woche, nur der Montag ist frei, ist das Ehepaar für insgesamt 1.600 Mark und unter Bereitstellung einer Dienstwohnung im Auftrag von Jesus Christus unterwegs. „Es war nicht einfach, den guten Job und gutes Geld aufzugeben“, sagt Wolfgang Korneffel, dessen Eltern schon bei der Heilsarmee waren. Bis 1990 arbeitete er in einem Kohlekraftwerk in Hannover. Die Aufgabe seines Lebens als „Mittelstandsbürger“ sieht er durch „den Zugewinn an Nichtmateriellem“ aufgewogen. Zweifel, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, beschleichen ihn nur dann, wenn wieder einmal ein Quartierwechsel ansteht. Im Januar nächsten Jahres müßten er und seine Frau Berlin eigentlich wieder verlassen. Doch sie hoffen, daß sie diesmal länger bleiben können. „Die Berliner sind so locker und zugänglich“, lautet ihr Fazit nach zwei Jahren. „Die sagen auch schon mal, was sie denken.“

In der Kneipe „Alt-Berlin“ verweigert ein Geschäftsmann eine Spende mit der Begründung, daß er noch heute auf die Quittung für eine größere Spende warte, die er vor einem Jahr in Köln der Heilsarmee gegeben habe. „Da haben Sie schlechte Karten“, läßt er Wolfgang Korneffel abblitzen. „Das ist ein bedauerlicher Zwischenfall“, entschuldigt sich dieser. „Aber das kann passieren.“ Im indischen Restaurant „Kashmir Palace“ stellen sich die Korneffels als „Salvation Army“ vor. Obwohl Indien das erste Missionsgebiet der Heilsarmee außerhalb Englands war, können viele indische Gäste nichts mit dem Paar in den blauen Uniformen anfangen, die die „Reinheit des Herzens“ versinnbildlichen sollen. Mit leeren Händen verlassen die Korneffels das edle Lokal.

„Die nicht allzuviel haben“, so die Erfahrung von Wolfgang Korneffel, „geben mehr, weil sie vielleicht eher schon einmal Not kennengelernt haben.“ Doch die Korneffels lassen sich weder von der geringen Spendierfreudigkeit noch von dem immer stärker werdenden Regen an diesem Abend entmutigen. Denn sie haben einen „Auftrag“ zu erfüllen: als aktive, evangelistische Streitmacht gegen das Böse, gegen Sünde, Verweltlichung und Materialismus zu kämpfen. Deshalb liegt ihnen das Missionieren am Herzen. „Ich möchte die Botschaft von Jesus Christus bringen“, sagt Petra Korneffel. Daß sich vielleicht einige Leute mit ihrem Geld für die Spendenbüchse auch ihre Ruhe vor missionarischen Gesprächen „erkaufen“, kann die beiden nicht erschüttern.

Das einzige Restaurant, um das sie einen großen Bogen machen, ist das edle „troquet“. „Der Wirt will das nicht“, sagt Petra Korneffel. Das erinnert sie an die Anfangszeit der Heilsarmee vor 132 Jahren in London. Da schickten Kneipenbesitzer den Halssoldaten die sogenannte Skelettarmee auf den Hals. Die sollte verhindern, daß die besten Kunden dem missionarischen Eifer erliegen könnten. Die Geschichtsschreibung der Heilsarmee führt drei Halssoldaten auf, die den Kampf gegen Alkohol und Tabak mit dem Leben bezahlten. All das spornt die Korneffels bei ihrer nächtlichen Tour an. „Wir gehen, solange und so weit uns die Füße tragen“, sagt Petra Korneffel. „Wenn die Füße weh tun, ist Schluß“, ergänzt ihr Mann. Das Kapitänsehepaar Korneffel lebt ganz nach dem Motto des Urenkels des Gründers der Heilsarmee, Oberst Bramwell Booth: „Solange es noch eine Seele gibt, in der das Licht Gottes nicht scheint, wird die Heilsarmee kämpfen.“