: Ökopower auf karibisch
Auf den kolumbianischen Karibikinseln San Andrés und Providencia wehrt sich die Bevölkerung erfolgreich gegen umweltfeindliche, touristische Großprojekte ■ Von Gerhard Dilger
Der öffentliche Fahrzeugpark auf San Andrés besteht aus geräumigen gelben US-Schulbussen. Einer von ihnen bringt uns in einer halben Stunde vom Stadtzentrum vorbei an Palmenhainen und dem weißen Sandstrand von San Luis zur Piscinita, einem tiefblauen Naturschwimmbecken im Südwesten der Insel. Dort erwartet uns Leard Pomare, der Besitzer einer kleinen Kneipe, der das symbolische Eintrittsgeld dafür verwendet, den umliegenden Küstenstreifen sauberzuhalten. Am Eingang erhält jeder Besucher ein Stückchen Brot für die Fischfütterung.
Zwei Dutzend Touristen – Kolumbianer, Argentinier und Deutsche – sitzen bei Reggaeklängen am Beckenrand oder schnorcheln durch die Schwärme weißer, schwarzgelb gestreifter und blauer Fische. Etwas weiter hängen Heerscharen von Seeigeln an den Korallen.
Pomare, ein temperamentvoller vierzigjähriger Bonvivant, um dessen Hals schwerer Goldschmuck baumelt, macht uns allerdings schnell auf die trügerische Idylle aufmerksam: „Von all diesen Touristen kommt keiner so schnell wieder. Die Insel kann den Massenansturm einfach nicht verkraften“, berichtet er in breitem Karibik- Englisch. „Monatelang haben die Tankwagen des Decameron-Hotels ihre Abwässer dort hinten einfach ins Meer geschüttet“, sagt er und deutet nach Norden. „Im Landesinnern wird das Grundwasser verseucht, und die Müllhalde platzt aus allen Nähten. Eigentlich müßte der sanitäre Notstand ausgerufen werden.“
Doch in den letzten Monaten haben Pomare und seine Nachbarn, alles gebürtige Isleños, wieder Mut geschöpft. Denn in einer aufsehenerregenden Entscheidung schloß die Umweltbehörde Coralina nach jahrelangem Clinch zwei jener Nobelhotels, in denen unter anderem scharenweise deutsche Pauschalurlauber untergebracht wurden – das Sol Caribe Campo und das Decameron. Beide Unternehmen hatten jahrelang die Umwelt- und Sanitärauflagen beharrlich ignoriert und ihre Abwässer in die Mangrovenwälder oder ins Grundwasser sickern lassen.
Die Leiterin von Coralina, June Marie Mow Robinson, ist afrochinesischer Abstammung und hat ihre Spezialisierung als Meeresbiologin in Deutschland absolviert. Sie greift konsequent gegen große und kleine Umweltsünder durch, was in Kolumbien beispiellos ist: Normalerweise werden staatliche Funktionäre durch Druck oder Schmiergelder gefügig gemacht. Doch die gradlinige Beamtin ließ sich weder durch einen Anruf des Präsidenten Samper noch durch Morddrohungen von ihrer Entscheidung abbringen: „Die Hotels können wieder aufmachen, sobald sie die vorgeschriebenen Kläranlagen installiert haben. Wenn wir jetzt nicht anfangen, unsere Umweltgesetze durchzusetzen, dann können wir die Insel vergessen.“
Jahrhundertelang waren San Andrés und die Nachbarinsel Providencia, 250 Kilometer westlich von Nicaragua und 800 Kilometer vom kolumbianischen Festland gelegen, Spielbälle der konkurrierenden Seemächte England und Spanien. Als die meisten lateinamerikanischen Staaten Anfang des 19. Jahrhunderts unabhängig wurden, gehörten die Inseln nominell zwar zu Neu-Granada (Kolumbien), doch die Nachfahren einiger britischer Siedler und ihrer afrikanischen Sklaven bestimmten ihre Geschicke weitgehend autonom. Sie verständigten sich in einer englisch-afrikanischen Kreolsprache, und nordamerikanische Missionare sorgten bald für die Vorherrschaft des Protestantismus.
Seit 1953 jedoch, als der Diktator Gustavo Rojas Pinilla San Andrés zum Freihafen erklärte, sind Zehntausende Festlandskolumbianer, darunter viele Händler nahöstlicher Herkunft, auf die Insel gezogen. In den letzten zwanzig Jahren boomte der Tourismus. Heute sind von den rund achtzigtausend Einwohnern drei Viertel panas (eine Verballhornung von Spaniards), wie die Isleños abschätzig die „zugereisten“ Kolumbianer nennen.
„Wenn du kein Spanisch redest, bist du gleich Bürger zweiter Klasse“, sagt Leard Pomare. „Wir sind nicht mehr Herren im eigenen Haus. Leider hat die jahrzehntelange Gehirnwäsche in den Schulen Erfolg gehabt; die meisten Einheimischen sind bereits kolumbianisiert. Es ist wie in einer Kolonie – sie kommen, sagen sie, um uns zu ,zivilisieren‘.“ So ist es nicht verwunderlich, daß gerade die „schwarzen“ Organisationen wie Sons of the Soil (S.O.S.!) den stärksten Rückhalt für die Umweltbehörde darstellen, denn für sie ist der Massentourismus in den Hotelbunkern das handgreiflichste Symbol für eine „Entwicklung“ auf Kosten der Einheimischen. „Die Insel steht vor dem Kollaps“, meint S.O.S.-Aktivist Bill Francis. „Wir brauchen Anreize, um möglichst viele continentals zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen.“ Ob sich die Basisorganisationen aber auf Dauer gegen die korrupte politische Führungsschicht der Insel werden durchsetzen können, erscheint eher fraglich.
25 Minuten dauert der Flug mit einer kleinen Propellermaschine nach Providencia – die Einheimischen nennen es wie die ersten puritanischen Siedler aus dem 17. Jahrhundert Old Providence. Von oben scheinen sich die Korallenriffs wie eine Halskette um die grüne, fast runde Insel zu legen. Vor dem kleinen Flughafen warten ein paar ältere US-amerikanische Straßenkreuzer auf die Besucher. Die meisten kommen für 20 Dollar pro Kopf im Touristenzentrum Freshwater Bay unter. Man wohnt dort in cabañas, einfachen Unterkünften in der traditionellen Holzbauweise der Karibik.
Noch Anfang der achtziger Jahre war Providencia nur auf dem Seeweg zu erreichen. Dieser langen Isolation hat es die Insel zu verdanken, daß sie von den Segnungen des modernen Tourismus verschont und die einheimische Kultur weitgehend erhalten blieb. Der Kontrast zum kaum größeren San Andrés ist verblüffend. Nur fünftausend Menschen wohnen hier, zum Großteil gebürtige Isleños.
Die meisten Häuser befinden sich in unmittelbarer Nähe der 17 Kilometer langen Straße, die sich – bergauf, bergab – rund um die Insel schlängelt. Per Moped, dem Verkehrsmittel schlechthin, ist diese Rundtour bequem in einer Stunde zu bewältigen. Hinter jeder Kurve wartet ein neuer faszinierender Ausblick auf den türkisgrünen Ozean oder den felsigen Bergkamm im Inselinneren.
„Du brauchst ein paar Tage, bis du auch mental hier ankommst, Mann“, sagt Albert Bryan, ein immer wohlgelaunter Rasta, der die Hektik kolumbianischer Großstädte aus eigener Anschauung kennt. „Hier leben wir unseren eigenen Rhythmus. Voll wird's nur über Weihnachten und Ostern. Dann mache ich meinen kleinen Stand am Strand von Southwest auf und verkaufe coco loco – einen Rumcocktail in Kokosnüssen.“
Neben Tauch- und Reitausflügen wird den Besuchern eine Tagestour per Boot rund um die Insel angeboten, vorbei an den Korallenriffs und dem Felsblock Morgan's Head. Von hier aus nämlich bereitete der berühmte englische Freibeuter Henry Morgan seine Überfälle auf Panama vor. Vier, fünf wunderschöne Sandstrände laden zum Faulenzen ein. „There are no private beaches on Providence“, verkünden mehrere Schilder stolz, ebensowenig Großhotels oder andere negative Begleiterscheinungen des sonst üblichen Karibik-Tourismus.
Dieser beschauliche Providencia-Rhythmus war allerdings bis vor kurzem durch mehrere Großprojekte bedroht. Ein hochmodernes Taucherzentrum und ein Hotelkomplex sollten ausgerechnet in zwei der wichtigsten Mangrovengebiete plaziert werden. Klammheimlich hatte der vorletzte Bürgermeister die Baugenehmigungen erteilt. Doch als diese Pläne publik wurden, formierte sich rasch eine Bürgerbewegung, die monatelang dagegen Sturm lief. Schließlich verhängte das Bogotaner Umweltministerium einen Baustopp für diese und mehrere ähnliche touristische Projekte – nebenbei hätten sie als Waschanlagen für Kokaindollars fungieren können.
„Wir haben doch das abschreckende Beispiel San Andrés direkt vor unserer Nase“, erklärt Fanny Howard, eine dynamische Enddreißigerin. Derzeit führt sie eine aufwendige Bürgerbefragung durch, von der die weitere Entwicklungsplanung abhängt. „Wir Providencianer sind konservativ und rebellisch zugleich. Derzeit findet eine Rückbesinnung auf unsere Kultur statt; immer mehr Menschen – auch junge Leute – sehen, wie schädlich es ist, wenn fremde Einflüsse überhandnehmen.“
Da ist zum Beispiel der Kokainhandel: San Andrés und Providencia sind seit Jahren beliebte Zwischenstation auf dem Weg des weißen Pulvers in die USA, und immer wieder lassen sich ortskundige Jugendliche auf die höchst riskanten, aber lukrativen Hilfsdienste für die Mafia ein. In der Regel suchen sie sich jedoch – wie schon ihre Vorfahren – einen Job in der Seefahrt oder arbeiten eine Zeitlang auf dem zentralamerikanischen oder kolumbianischen Festland.
Abends lassen wir uns in einem Strandlokal das Spezialgericht Providencias munden, eine Platte mit Krebsfleisch und Meeresfrüchten. Albert spielt mit seiner Band Reggaesongs und karibische Traditionals. In einer Pause setzt er sich zu uns. „Wir wollen unsere Insel so erhalten, wie sie ist. Ich glaube, diese Botschaft ist angekommen.“
Empfehlenswerte Kolumbien-Reiseführer: Dydynski, „Colombia“ (Lonely Planet, 2. Auflage 1994), und Braune/Semper, „Kolumbien“ (Reisekompaß) (Sebra-Verlag, Hamburg 1996).
Von November bis April bietet LTU Pauschalreisen von Deutschland aus an.
Von San Andrés gibt es täglich mehrere Flüge nach Providencia.
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