piwik no script img

Warum der Gosenmarkt kein Gänsemarkt ist, wo die erste Oper stand und die Polizei zum Skandal wurde

Gänse sind über diesen Platz nie gewatschelt. Auch einen Markt hat es dort nicht gegeben. Markt steht für „Mark“, also für einen Grenzbezirk, der nach Ambrosius Gosen benannt wurde. Die frühere Bezeichnung „Gosenmarkt“wurde irgendwann falsch verhochdeutscht.

Heute prägen Verkehr, Menschen, die zwischen Autos hindurchhasten, die Finanzbehörde in roten Klinkern und Schaufenster voll teurer Waren den Platz in der City. Neben Profanem wie Telefonzellen und Bänken aus Beton steht darauf ein Denkmal: das von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781). In Bronze und voll grüner Patina schaut er, einer der größten und rebellischsten Dichter und Denker Deutschlands, auf ein Haus, das es schon lange nicht mehr gibt.

Da, wo jetzt ein Schachtelkino lockt, wurde 1767 das „Deutsche Nationaltheater“eröffnet. Hier hatte Lessing zwei turbulente Jahre lang als umstrittener Dramaturg gewirkt und auch seine „Minna von Barnhelm“uraufgeführt. Die Hanseaten mochten ihn nicht.

Genau an der gleichen Stelle war 1677/78 die erste bürgerliche Oper Deutschlands erbaut worden. Die Geistlichkeit wachte streng über die Sitten, und so wurden zunächst überwiegend fromme Stoffe auf die Bühne gebracht. Zu jener Zeit war es üblich, daß ein sprachliches Kunterbunt gesungen wurde. Es war nicht selten, daß in einer Vorstellung nebeneinander Italienisch, Französisch, Hochdeutsch und breites Hamburger Platt ertönte. Das Publikum war begeistert.

Ganz so christlich ging es unter Reinhard Keiser nicht mehr zu. 1701, als der von den Pfeffersäcken geköpfte Seeräuber Klaus Störtebeker just 300 Jahre tot war, wurde ihm zum Gedenken Keisers Oper „Störtebeker und Gödge Michaelis“mit großem Erfolg aufgeführt.

Aber weniger wegen des toten Aufrührers oder der edlen Notenkunst. Dem Zeitgeschmack des ausgehenden Barock entsprechend, ging's auf der Bühne deftig zu: „Es gab unbeschreibliche Frivolitäten, außerdem wurde fleißig geköpft. Und es floß wirkliches Blut, Kälberblut aus Schweinsblasen, die die Sänger unter ihren Kleidern versteckten ..., was musikalisch untermalt und vom Publikum frenetisch beklatscht wurde.“Dann kam Georg Philipp Telemann. Er leitete die Oper von 1722 bis zu ihrer Pleite im Jahre 1738 und setzte anspruchsvolle Werke neben die rein volkstümlichen.

Auch in jüngster Zeit floß auf dem Gänsemarkt Blut: Ein Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft mit tödlichen Folgen schreckte die Hansestadt. Zum Begriff wurde der Gänsemarkt in den letzten Jahren allerdings durch den Hamburger Polizeiskandal. Anläßlich einer Demonstration gegen die Kundgebung des österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider kam es im Mai 1994 zu Auseinandersetzungen zwischen ProtestlerInnen und Ordnungshütern. Dabei wurde der unbeteiligte Fernsehjournalist Oliver Neß von Polizisten brutal angegriffen und schwer verletzt.

Petra Oelker/taz

Foto links: wap, Foto rechts: Markus Scholz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen