: Die Sucht nach dem Kick
■ Ecstasy macht nicht nur glücklich, sondern auch abhängig, behauptet eine neue Studie über die Designerdroge
Leistung, Liebe, Lust. Das Image der Designerdroge Ecstasy ist gut. Was sie verspricht, ist „ohne“nur den wenigsten vergönnt. Wer sonst schafft einen Zwei-Tages-Rave, und wessen Herz hüpft schon bis zum Glückstaumel hoch, nur weil elektronische Beats aus den Boxen dröhnen? Und mit dem herkömmlichen Bild vom sozial verelendeten „Drogensüchtigen“hat die Lebenswirklichkeit des Ecstasy-Users auch nichts gemein. „Das Leben in der Raving-Society ist immer auch ein Leben in der wirklichen Gesellschaft“, bringt es der Herausgeber des Szene-Blattes „frontpage“, Jürgen Laarmann, auf den Punkt.
„Irgendwann brauchst du den Kick“, erzählt dagegen Torsten H. „Du findest die Party doof, wenn du es nicht nimmst.“Der 26jährige, Mitglied der KonsumentInnengruppe „Testasy“, kennt auch das Phänomen der sogenannten „Ecstasy-Depression“: Ist das Wochenende um, der Rave vorbei und der Rausch beendet, geht die Stimmung in den Keller – bis zur nächsten Party, der nächsten „E“. Beide Phänomene hat auch eine Studie beobachtet, die jetzt von der Landesstelle gegen die Suchtgefahren herausgegeben wurde. Ecstasy macht nicht nur glücklich, sondern auch süchtig, folgert Herausgeber und Landesstellen-Geschäftsführer Gerd Rakete und heizt damit einen Streit unter Experten an.
Nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation seien rund 60 Prozent der KonsumentInnen abhängig. So berichteten viele der in der Studie befragten 527 Hamburger Jugendlichen von „einem starken Wunsch oder einer Art Zwang, Ecstasy zu nehmen“. Andere müßten immer mehr Glückspillen einwerfen, um die gleiche Wirkung zu erzielen. „Das Abhängigkeitspotential wurde bisher unterschätzt“, folgert Rakete. „Die Hamburger Drogenberatung muß sich auf eine neue Klientel einstellen.“
Dem allerdings folgt Hamburgs Drogenbeauftragter Horst Bossong nicht. Er bezweifelt die Aussagekraft von Raketes Studie. „Körperlich macht Ecstasy nicht süchtig. Das ist erwiesen. Und was psychische Abhängigkeit ist, weiß kein Mensch“, hält er dessen Zahlen entgegen. Ecstasy gehöre zu einer Phase der Jugend. Irgendwann fange sie an, irgendwann sei sie aber auch wieder zu Ende. „Wer die Finger nicht davon lassen kann, hat ein Problem mit sich selbst, nicht mit Ecstasy.“
Man brauche keine Beratungsstelle für „den Stoff“, sondern für „den Menschen“, sagt Bossong. Doch der Anteil der Ecstasy-User in der Drogenberatung ist verschwindend gering. Weil diese bislang immer noch zu sehr an Junkies orientiert sei, kritisiert Rakete. „Spritzentausch und Methadonprogramm ist nicht die Welt von Ra-vern“, weiß er und spricht von „Schwellenangst“.
Eine Veränderung mahnt er dringend an, denn, auch das habe die Studie ergeben, 95 Prozent der Jugendlichen, die Ecstasy schlucken, seien MehrfachkonsumentInnen. Alkohol, Speed, LSD und vor allem Cannabis gehörten ebenso zur Fete dazu wie die „Glückspille“. Udo Flüsmeier, Psychologe und Mitverfasser der Untersuchung, erklärt sich den Beikonsum damit, daß damit die sogenannte „Toleranzwirkung“ausgetrickst werden soll. Da Ecstasy immer weniger wirke, je häufiger man es nehme, „kommt man auf Dauer um andere Drogen gar nicht rum“, warnt er.
Einen Bedarf an Aufklärung und Information will auch Horst Bossong nicht leugnen. Darin zumindest sind sich alle einig, und auch die Beratungsstellen selbst haben die Zeichen der Zeit erkannt. Der Verein „Jugend hilft Jugend“zum Beispiel schult intern die MitarbeiterInnen, damit sie schon am Telefon umfassend über die Zusammensetzung der Pillen und Langzeitfolgen informieren oder Tips zum gefahrfreien Konsum geben können. Telefonische Beratung bietet auch die „Ecstasy-Hotline“der Landesstelle gegen die Suchtgefahren an. An der Strippe sitzen PädagogInnen und PsychologInnen, die rein informative Fragen selbst beantworten, bei ernsthaften Problemen dann an die Beratungsstellen „Seehaus-Projekt“und die „KÖ 16 A“weitervermitteln.
Die beiden Einrichtungen haben schon vor zwei bis drei Jahren ihr Augenmerk auf Ecstasy-KonsumentInnen gerichtet. Hubert Homann, Leiter der Anlaufstelle für Jugendliche KÖ 16 A, weiß aus der Praxis: „Immer mehr Jugendliche kommen mit ernsthaften psychotischen Symptomen: Depressionen, Angstzustände, Halluzinationen.“Das jedoch, betont Silka Hagena, Psychologin bei der Mädchenberatungsstelle „Kajal“, hänge mit der Prädisposition der Mädchen und Jungen zusammen – und sei in erster Linie ein Problem der Jugendlichen und nicht der Droge Ecstasy. Elke Spanner
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