: Italiens Drogenpolitik in Bewegung
Nach jahrelangem Geeiere der Politiker meldet sich das oberste Gericht zu Wort. Abhängige können nun größere Mengen Drogen besitzen. Aber: Die Weitergabe von Joints ist strafbar ■ Aus Rom Werner Raith
Was Italiens Politiker seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten nicht schaffen, sucht nun das oberste Gericht, die Kassation, in die Hand zu nehmen. Mit zwei spektakulären Urteilen innerhalb eines Monats hat der Bundesgerichtshof Weichen für die Drogenpolitik gestellt. Das erste Urteil setzt sich mit dem Begriff „Handel mit Drogen“ auseinander. Danach macht sich bereits strafbar, wer in trauter Runde einen Joint an seinen Nachbarn weiterreicht. „Jeder Vorgang, bei dem illegale Betäubungsmittel den Besitzer wechseln, ist als Handel mit Drogen anzusehen“, stellt das Gericht fest. Anlaß waren mehrere Anzeigen gewesen, bei denen Zeugen die Weitergabe von Haschischzigaretten bekundet hatten. Daß derlei strafbar sein könnte, war bis dato niemandem aufgefallen. Die Richter der unteren Instanzen hatten daher den Fall an die höheren Gerichte übergeben.
Das zweite Urteil dagegen ist ein „liberalisierendes“. Danach wird nicht mehr automatisch als Dealer betrachtet, wer mehr als eine oder zwei Tagesdosen von Drogen – gleich welcher Art – zu Hause hat. Die Richter sehen es als „höchst gefährlich und kontraproduktiv“ an, wenn der Gesetzgeber mit einer starken Einschränkung des Besitz-Rechtes“ „Drogenabhängige zwingt, täglich zu den Dealern zu marschieren, um sich mit dem für sie offenbar psychisch unabdingbaren Stoff versorgen zu lassen“. Wer, so das Gericht, eine Dosis für eine Woche, in spezifischen Fällen auch für mehr, zu Hause hat, darf nicht mehr bestraft werden.
Beide Urteile beenden einen jahrelangen Streit. 1986 hatte die damalige sozialistische Regierung Craxi eine harte Wende in der Drogenpolitik eingeleitet. Statt der vorher genehmigten „mäßigen Dosis zum Eigengebrauch“, was etwa zwei oder drei Tagesrationen entsprach, durfte der Abhängige höchstens noch eine einmalige Dosis auf Vorrat haben – und auch die mußte, von einem Arzt bestätigt, seinem Abhängigkeitsstatus entsprechen. Um dessen genauere Definition entbrannte alsbald eine Kontroverse, zumal viele mitfühlende (oder geschmierte) Hausärzte ihren abhängigen Patienten schon mal das Dreifache der real benötigten Dosis bestätigt hatten.
Gleichzeitig hatte die damalige Regierung einen Maßnahmenkatalog gegen Drogensünder in Kraft gesetzt. Wer zum ersten Mal mit einer Dosis für mehr als einen Tag erwischt wurde, bekam administrative Strafen – Ausgehverbot oder Fahrverbot für sein Auto für eine Woche. Wer zum zweitenmal erwischt wurde, konnte gleich für mehrere Monate vom Fahren ausgeschlossen werden. Ihm wurde sein Reisepaß abgenommen, und er mußte sich täglich bei der örtlichen Polizei melden. Beim dritten Mal ging's in den Knast. Das zu verhindern war nur möglich, wenn man sich einer Entziehungskur unterwarf – doch von den dafür benötigten gut 10.000 Entziehungsplätzen wurden bis heute nicht einmal 1.500 geschaffen.
Zufrieden mit dem Urteil über den „Eigenbesitz“ zeigen sich die Vorkämpfer für eine weitgehende Liberalisierung der Drogenpolitik, vor allem der Chef der Radikalen Partei, Marco Pannella. Er hatte mit zahlreichen Provokationen die Behörden immer wieder gezwungen, sich mit dem Drogenproblem auseinanderzusetzen. 1996 verteilte er dazu öffentlich auf Roms Plätzen Drogen-Briefchen und ließ sich dafür anzeigen – zu einem Verfahren ist es bis heute nicht gekommen.
Ob sich im realen Umgang mit Drogenhandel und Drogenabhängigen nach dem Urteil viel ändert, ist unklar. „Im Grunde sanktionieren die Oberrichter ja nur die bereits herrschende Praxis“, sagt ein Sprecher der Grünen-Fraktion im Parlament. „Wenn sie einem nichts anhängen wollten, haben sie auch vorher schon ganze Monatsdosen ,übersehen‘. Und wenn sie einen wegen Dealens drankriegen wollten, konnten sie die Anzeige so hindrehen, daß harmloses Weitergeben wie schlimmes Dealen aussah.“ Die „Austrocknung des Sumpfs der großen Drogenschieberei“, meint auch Marco Pannella, „ist kein bißchen nähergerückt.“ Nur wenn man Drogen auf Rezept zu niedrigen Preisen kaufen kann, so die Antiprohibitionisten, kann man die Abhängigen auch an Entziehungsprogramme heranführen – und die Oberdealer vom großen Profit abschneiden. „Davon aber sind wir genauso weit entfernt wie vorher.“ Doch, das gestehen auch die Liberalisierer ein, „ist mit dem Urteil ein Angstabbau bei den Abhängigen gegeben“.
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