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■ SchlaglochSummertime Blues Von Pieke Biermann

You don't need a weatherman to know which way the wind blows. Bob Dylan

Dies ist ja eins der Jahre, in denen der kürzeste Witz der Saison mit S anfängt und mit ommer aufhört. So richtig nach dem Geschmack des „typischen Berliners“ (allerlei Geschlechts) also. Denn der pflegt an sich nicht inhaltlich gemeinte Grußadressen höflicher Nicht-Berliner („Na, wie is?“ – „Wie gädsn tir?“ – „How are you?“ – „Comment ça va?“ – „Come stai?“ etc.) bekanntlich mit einem ebenso rituellen „Danke, ich kann klagen!“ zu kontern. Vorgetragen mit jener blechernen Bonhommie, die in Alpenregionen pünktlich den Schriftzug „Piefke“ am Himmel aufglühen läßt. (Ich hätte natürlich „und Bonnefemmie“ hinzufügen müssen, aber ehrlich: Klingt das nicht doch zu sehr nach „Infamie“?)

Leider ist ausgerechnet der Berliner dies Jahr gar nicht so gut, also schlecht dran mit dem Sommer. Hier ist es bisher zumeist wärmer und sonniger als anderswo im Vereinigten Kohlreich, auch „Land unter!“ droht nicht in Berlin und Umgebung (älteren Menschen noch als „Reichsstreusandbüchse“ geläufig). Auf den Siebenschläfer war also doch noch Verlaß. So hatte der sich ja präsentiert vor knapp fünf Wochen: halb und halb. Aber hallo – daraus wird sich doch was machen lassen! Wie sagt der Nordländer immer? „Wat dem een sin Uul, ist dem andern sin Nachtigall.“ Und tierlieb ist der Berliner ja nun.

Also freut er sich, wenn es „cats & dogs“ regnet. Dann lehnt er gemütlich aus dem Fenster und glotzt leere Straßen- und Gartenlokale an. Keine Deowolke („Nuttendiesel!“) belästigt seinen Rüssel, und vor allem bleiben diese röhrenden Erektionshilfen in der Garage. Denn es guckt ja kein Schwein, wenn so eine halbe Portion Sonnenbankgrillade mit Haaren sott'olio in der zweiten Reihe den Motor aufjaulen, den Auspuff krachen läßt. „Die krieng alle keen hoch heute!“ frohlockt er und wendet sich der ersten Reihe zu. Fernsehen gibt ja immer was her zum Meckern. Nicht bloß, daß das ZDF ihm seine nebenwirkungsärmste Einschlafhilfe entzogen hat – nix „le grand détective Matüll“ dienstags vor Mitternacht. Da eiert jetzt dieses Schwanzkopp rum: Heiner – „du wie hieß'n der noch? Ürmjaad!“ – „Schlauderkauz oder so wat. Ähh. Kannste mir uff'm Buckel binden, passiert jaa nüscht.“ – „War det nich der mitte Potenzpillen? Braucht ja wo jeder 'ne Erektionshülfe heutzutahre“, seufzt er zufrieden und schaltet um. Werbung ist besser.

„Kiek ma, die fressen schon wieder!“ feixt die gewöhnliche Berlinerin (allerlei Geschlechts) und denkt laut nach, ob der gewöhnliche Deutsche heutzutage gar kein analer, sondern ein oraler Zwangscharakter ist. Was da im Fernsehen alles zusammengeschlabbert und -geknabbert wird – „Nee, Hotte! Sach du ma!“ Der ergänzt zunächst „Zeuch zum Vollballern und Stinkeautos“, bevor er sich in einen Entrester verbeißt, mit dem etwas namens „Calgonit“ Gabelnischen krümelfrei zu kriegen verspricht. „Brauchen wa nich!“ verfügt er. „Wat wir brauchen, is 'n Fernseher mit Werbonit!“ Und zappt weiter. Hah! Politiker. Die sind ja überhaupt das Größte. Vorneweg natürlich Bonn, aber für Bonn kann er nur teilweise was. Darum hat er sich seine eigenen Regierenden besonders meckerogen zusammengewählt. War ganz einfach, sind ja auch Berliner. Je neuer, desto schlimmer (also besser). Der Innensenator zum Beispiel – „Möcht' ja ma wissen, ob der ooch 'n blauen Arsch hat. Der stakst doch da wieder lang wie 'n Pavian!“ – „Heb dir wat uff, Ürmjaad, da ham wa lange wat von. Der würd noch Rejiermeister.“ – „Meinste, der kiekt ooch Werbung? So 'n Entrester müßte doch dem sein Traum sein. Der gloobt doch ooch, er muß jede Wohlstandsnische berberfrei krieng.“ – „Na, weeßt du, ob der nich überhaupt hinter Calgonit steckt?“ – „Quatsch! Die ha'm die Pollezei an Calgonit vertickt. Sorum jeht Privatisieren!“

Und dann kommt Tour de France und der Fernseher aus. Radfahren ist nicht sein Ding. „Nach ohm buckeln, nach unten treten, nee, weeßte.“ Damit sind Irmgard & Hotte nicht zu beeindrucken. Da kennen sie Besseres. Behörden zum Beispiel, die Berlin jetzt endlich auf Freiburg/Guben/ Emden/Paderborner Niveau hochschrauben wollen: Abends um zehn werden die Straßenkneipen ein- und die Bürgersteige hochgeklappt! In der grünen Lunge Tiergarten werden die family values abgeschafft; hier können Familien nicht mehr Kaffee kochen (Würstchen grillen, Flirts anbahnen). Und auf die edlen Granitflächen um die Nationalgalerie kommt Granulat! „Det is doch det Zeuch, wat se winters ümma sparen. Da schmeißen se jetze mit rum, bloß weil ma 'n Girlie uff Skater durch de Scheibe jebrettert is!“ – „Deswehng doch nich! Da ham sich welche beschwert. Wehng Lärmbelästigung. Könn'se nich in Ruhe Bilder kieken!“ – „Det könn'se ooch nich, wenn da wer in die abjebrochenen Flaschenhälse knallt. Die ham se nemmich ooch jestreut!“

Und so weiter. Und wenn es nicht zu kalt ist, setzt er sich vorm Schlafengehen noch auf seinen Balkon und lauscht den Schwalben, der Berliner. Tiere sind überhaupt ein zuverlässiges Sujet, seit auf sie auch kein Verlaß mehr ist. Schwalben zum Beispiel. Egal was für Wetter, die fliegen ganz hoch oben. Notfalls haarscharf unter der nächsten Lage Regenwolken. Jedenfalls in der Innenstadt. Liegt ja an der Nahrungskette. Ausgeschlafene Vögel kreisen da, wo das Bufett jeweils rumschwirrt. Und wie ausgeschlafen Insekten als Mutanten sind, weiß jedes Kind. Seit Tschernobyl. („In dem Sommer waren ja ooch die Radieschen ins Elefantöse mutiert.“)

Oder Elstern, Krähen, Häher. Ältere Menschen sind ja noch aufgewachsen mit gewissen unverrückbaren Zuordnungen. Zu Elstern gehört „diebisch“; zu Krähen (samt Verwandtschaft) der mordlustige Sturzflug in Geschwaderstärke (vgl. Hitchcock); Häher gehören überhaupt nicht in die Stadt. Genausowenig wie Füchse. Aber neulich ist ein Fuchs auf dem Ku'damm verhaftet worden, am hellichten Tage! Hatte wahrscheinlich vergessen, daß er eigentlich schlau ist. Oder Graffiti gesprayt?

Die Berliner Elster jedenfalls klaut nicht mehr, sondern schleppt Dinge an. „Fleicht sind die jetze Robin-Hoodisten. Mach ma 'n Topp frei, falls die mit Joldbarren kommen.“ Auf Parkplätzen schlendern die Nebelkrähen so pinguinmäßig jovial aus dem Gebüsch auf den Berliner zu, daß er unwillkürlich nach dem Trinkgeld sucht, weil er denkt, der hält ihm gleich die Autotür auf. Und die Häher – ach Jottchen, die Häher! Mäckäckäck in allen Lebenslagen. Flirtend auf der Balkonbrüstung, gemeinsam gegen die fliegenden Ratten, reviersichernd gegen diesen Falken da – als hätten sie umgeschult („Umschulung is ja det halbe Lehm heutzutahre, die andre Hälfte jeht mit Bewerbungsschreiben druff“) auf Stadtbewohner. Und da die Stadt ja immer leerer wird („Zieht doch jetze jeder uff's Land!“), haben sie den Der-typische-Berliner-Lookalike-Contest mitgemacht. Und gewonnen. Falls der gewöhnliche Berliner also aussterben sollte – kein Problem. Berlin hat ja seine Häher. Die meckernde Bonhommie par excellence. Da läßte doch glatt jeden Pavian für stehn!

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