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„Der Deutsche ist nun einmal so“

In Gehlberg im Thüringer Wald wehren sich die Einwohner gegen Asylbewerber. Geredet wird vor allem von der Angst vor den Neonazis. Und die, scheint es, kann gar nicht groß genug sein  ■ Von Heide Platen

„Die Gehlberger sind“, sagt die 33jährige Hotelchefin Kerstin Jung, „ein stures Bergvolk, einfach, aber auch offen und ehrlich.“ Bösartigere Einwohner des abgelegenen, vor 352 Jahren von Glasmachern gegründeten Thüringer Bergdorfs nennen ihre Mitbürger außerdem auch „egoistisch“ und „engstirnig. „Willkommen in Gehlberg“ steht auf einem Holzschild am Bahnhof, der im Tal liegt. Der Bus hoch in den drei Kilometer entfernt gelegenen Ort fährt nur an fünf Tagen in der Woche. Rundherum viel Aussicht und viel Wald.

Gerade das hatte Manfred Wahl, den Wirt des Gasthauses „Zum Hirsch“, 1992 aus Hessen hierhergelockt: „Diese Abgeschiedenheit, die schöne Natur, die gute Luft, die Wanderwege.“ Wahl sorgt sich nun um den Ruf des Ferienortes, der sommers wie winters fast ausschließlich vom Tourismus lebt, seit die meisten Glashüttenarbeiter arbeitslos sind.

553 der 839 Einwohner haben bis Mitte Juli eine Liste unterschrieben, mit der sie gegen den Zuzug von Asylbewerbern in ihr Dorf protestierten. Das brachte sie bundesweit in die Schlagzeilen. Er sei, so Wahl, „wohl einer der beiden einzigen im Ort gewesen, die gegen die Unterschriftensammlung waren und das auch gesagt haben“. „Erst mal abwarten“, habe er geraten und versucht, die erregten Gehlberger zu beschwichtigen: „Wir können uns den Ruf als ausländerfeindliche Gemeinde nicht leisten.“ Aber das sei schwer zu vermitteln gewesen: „Die Menschen hier sind das Zusammenleben mit Ausländern eben noch nicht gewöhnt.“

Der andere im Bund gegen den dörflichen Protest war Bürgermeister Rolf Fleischhauer. Der ist inzwischen stocksauer in seinen „wohlverdienten Jahresurlaub“ abgereist und hat den angekündigten Sitzstreik, „diesen Unfug“, gar nicht erst abgewartet. Angefangen hatte alles, als der Landrat Lutz Rainer Senglaub Anfang Juni aus Arnstadt angereist kam und den Dorfbewohnern auf einer Gemeinderatssitzung überraschend verkündete, daß die 80 Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR, die bisher in einer früheren Feriensiedlung der Glaswerker untergebracht waren, wegziehen müßten. Statt dessen würden Asylbewerber und deren Familien in den schlichten, einstöckigen Häusern neben dem Sportplatz am Ortsrand untergebracht.

Die nächste Sitzung des Gemeinderats gestaltete sich dann zum Fiasko: Über 300 empörte Einwohner drängten sich im engen Rathaus. Da seien, so Fleischhauer, „sehr, sehr böse Worte gefallen“, auch, daß „da mal wer hingehen und was machen müsse“. Das habe er „fast als Aufforderung zur Brandstiftung verstanden“.

Nein, so sei das überhaupt nicht gewesen, sagt seine Kontrahentin Kerstin Jung, die Wirtin des Hotels „Gasthof Beerberg“. Alles halb so schlimm. Jung sitzt im Vorstand des Fremdenverkehrsvereins, ist eine der aktivsten Organisatorinnen der Proteste gewesen und fühlt sich einerseits im Recht und andererseits mißverstanden. Vor ihr auf dem Tisch liegt giftiggrün die Unterschriftenliste. Die sei doch gar nicht ausländerfeindlich, sondern setze sich vielmehr für das Bleiben der Aussiedler ein. „Blankes Entsetzen“ über deren Fortzug habe im Ort geherrscht: „Daß die Aussiedler gehen müssen, das ist die erste Tragödie. Und die zweite ist, daß die Asylbewerber kommen.“ Und dann sagt Kerstin Jung, was die Ortsbewohner sonst noch so umtreibt. Nein, vor den Asylbewerbern hätten sie eigentlich gar keine Angst, wohl aber davor, daß Neonazis von außerhalb anreisen und ein Anschlag Gehlbergs Ruf ruinieren könnte. Das sei schließlich in anderen Orten wie Dolgenbrodt und Hoyerswerda auch passiert. Und sie habe immerhin drei Millionen Mark in ihr 1995 wiedereröffnetes Hotel investiert: „Da muß nicht mal ein Brandsatz fliegen. Schon ein Hakenkreuz an der Hauswand ist viel zuviel!“ Daß sie damit die Asylbewerber zu Sündenböcken für die Straftaten von Neonazis mache, will sie nicht auf sich sitzenlassen: „Stellen Sie sich etwa Baseballschlägern und Kettensägen entgegen?“

Und daß auf der Unterschriftenliste auch Gäste unterzeichnet haben, findet sie ganz in Ordnung. Da seien eben die Kundenwünsche berücksichtigt worden: „Mein Gast ist der deutsche Gast!“ Und der wolle im Urlaub „in einem kleinen Bergdorf mit rundherum Wald nun einmal keine Asylbewerber sehen.“

Und sich möglicherweise fürchten, mischt sie diffus die Ängste der Einwohner zusammen, an dem Lager vorbeizugehen. „Der Deutsche“, sagt sie trotzig, „ist nun einmal so! Ich bin auch so!“ Kerstin Jung schüttelt empört die rotbraunen Locken, redet sich warm über „fremde Sitten und Gebräuche“: „Die passen einfach nicht hierher!“

Schützenhilfe bekam Jung nicht nur von den Gemeinderäten, sondern auch vom evangelischen Pfarrer Martin Keil und seiner Frau Brigitta. Die beiden haben schon zu DDR-Zeiten bibelfest opponiert. 1990 hat Brigitta Keil dann einen riesigen Wendehals geschnitzt, den sie gern vorzeigt. Zum aktuellen Konflikt wollen sie und ihr Mann jedoch am liebsten gar nichts sagen. Sie fühlen sich in die falsche Ecke gedrängt. Sie hätten sich doch nur für die Aussiedler eingesetzt: „Das sind auch Christen und unsere Gemeindemitglieder.“

Außerdem reklamieren sie ein Mitspracherecht der Bürger. Die Aufnahme der Asylbewerber sei von oben herab entschieden worden, „wie zu DDR-Zeiten: So haben wir uns die Demokratie nicht vorgestellt.“ Der Pfarrer berichtet, als sei er selbst ganz ohne Einfluß, von „Ohnmacht und Angst“, die im Ort herrschten. Nein, sie selbst hätten „natürlich nichts“ gegen die Asylbewerber, aber, sagt Brigitta Keil: „Die Angst vor den Neonazis, die ist doch wirklich berechtigt!“

Wenn aber – so wiederholen auch andere Ortsbewohner in gebetsmühlenhaft wiederholtem Zirkelschluß – die Aussiedler bleiben, kommen keine Asylbewerber. Und dann bleiben eben auch die Neonazis weg. Daß das Dorf sich gegen deren mutmaßliche Straftaten wehren könne, glaubt Brigitta Keil nicht, Gottvertrauen hin, Gottvertrauen her: „Die haben hier alle viel zuviel Angst und sind untereinander uneins.“

Landrat Senglaub, dem die Einwohner die Schuld an der unerwünschten Publizität in die Schuhe schieben, ist verärgert: „Das ist doch kein Asylantenlager!“ In keiner der anderen sechs Gemeinden, in denen in diesem Jahr nach der neuen Gesetzeslage „ausgewählte Asylbewerber in Außenwohnungen untergebracht“ worden seien, habe es so viel Ärger gegeben wie in Gehlberg. Er habe sich, sobald er selbst informiert gewesen sei, den Bürgern gestellt und alles erklärt. „Wir haben hier“, interpretiert er die Angst vor den Neonazis, „kein Problem mit Ausländern, sondern eines von Deutschen mit Deutschen.“

Der deutscheste aller Dichter, Johann Wolfgang von Goethe, hatte 1780 einen Blick vom 978 Meter hohen Schneekopf in die Schlucht unterhalb Gehlbergs geworfen und dort den „wildesten und finstersten Ort des Gebirges“ gesehen. Zum Auszug der Aussiedler, für deren Bleiben sich die Gehlberger so heftig engagierten, ist dann aber niemand mehr gekommen. Und der Sitzstreik gegen die Asylbewerber ist kurzfristig abgeblasen worden.

So packen die letzten Aussiedlerfamilien schließlich allein ihre Habseligkeiten zusammen. Die Unterschriftenlisten gegen ihre Verlegung haben sie nicht unterschrieben, natürlich nicht. Sie wollen nicht einmal ihre Namen sagen. Die meisten von ihnen werden in einem größeren Lager im benachbarten Großbreitenbach unterkommen. Das, hatte Kerstin Jung gesagt, „zerreißt mir das Herz“.

Aber auch Kerstin Jung ist nicht da, als Katharina K., 82 Jahre alt, nun zum letzten Mal die Treppe putzt und Schrubber und Besen dann wegstellt, um von ihrem ehemaligen Zuhause, von Südkaukasien, zu erzählen und von ihrer nächsten Wohnung im Hochhaus, achter Stock: „Bis zum siebten fahren wir mit der Bahn, dann müssen wir wandern.“ Ihr Enkel Alex, meint sie zurückhaltend, wird sich auch in der neuen Umgebung wieder einleben.

Arbeiter werkeln hinter der Wiese an dem grünen, zwei Meter hohen Maschendrahtzaun, den die Dorfbewohner – hilfsweise – als Verschandelung ihres Ortseinganges moniert hatten. Er ist zwei Meter hoch, zum Schutz der Asylbewerber vorgeschrieben und für Kerstin Jung ein gravierendes Indiz für die Gefahren, die von nun an von außen in den Ort kommen könnten. Am Nachmittag ziehen die ersten neuen Dorfbewohner ein – und alles bleibt still.

Vom Sportplatz her, bestaunt von den Neuankömmlingen, kommen wie fast jeden Tag vier Hirsche den Berghang hinauf und verschwinden im Wald. Eine Frau vor dem Kramladen kommentiert den Einzug der Asylbewerber mit Schulterzucken: „Wir können ja doch nichts dagegen machen. Aber hingehen wird da keiner mehr.“ Und kann das Orakeln denn doch nicht lassen: „Wer weiß denn, was dort noch werden wird?“

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