piwik no script img

"Wir werden da nicht mitmachen"

■ Die Sozialstadträtinnen Junge-Reyer (Kreuzberg/SPD) und Schmiedhofer (Wilmersdorf/Bündnisgrüne) werfen Sozialsenatorin Hübner vor, AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlinge mit Schikanen vertreiben zu w

Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) spielt die Vorreiterin. Sie will, daß AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlinge nur noch Sachleistungen erhalten. Für einen Teil der Betroffenen wird die neue Regelung bereits praktiziert. Statt Sozialhilfe sollen nur noch Wertgutscheine ausgegeben werden. Hübner beruft sich auf das Asylbewerberleistungsgesetz, das seit 1. Juni 1997 gilt.

taz: Frau Schmiedhofer, Frau Junge-Reyer, die Sozialsenatorin will Sie und Ihre SozialstadtratskollegInnen zu einer „einheitlichen Regelung“ bringen: Asylbewerber und Flüchtlinge sollen nur noch Sachleistungen erhalten.

Martina Schmiedhofer: Es ist schlicht falsch, daß Flüchtlinge über Sachleistungen versorgt werden müssen. Das neue Asylbewerberleistungsgesetz schreibt das gar nicht vor. Dort ist lediglich von einem Vorrang die Rede, den die Sachleistungen haben sollen. Was in Berlin derzeit geschieht, ist, daß Frau Hübner eine politische Zielsetzung der CDU in das Asylbewerberleistungsgesetz hineininterpretiert – die überhaupt nicht besteht.

Ingeborg Junge-Reyer: Frau Hübner sollte sich mal ansehen, was der Gesetzgeber eigentlich wollte: Die Auszahlung von Bargeld sollte vermieden werden. Statt dessen sollen die Flüchtlinge in zentrale Einrichtungen kommen und dort verpflegt werden. Dazu kann man stehen, wie man will, aber für die Lebenssituation vieler Asylbewerber in Berlin ist das praktisch gar nicht mehr machbar.

Warum nicht?

Junge-Reyer: Es ist faktisch nicht umsetzbar bei Menschen, die schon seit drei, vier Jahren hier leben. Sie wohnen zur Miete und versorgen sich selbst. Zudem ist die Einweisung in zentrale Wohnheime und die damit verbundene Versorgung viel teurer.

Schmiedhofer: Die Auszahlung von Sozialhilfe in Sachleistungen ist – vorsichtig gesagt – rechtlich fragwürdig: Man will uns ein Gutscheinsystem aufdrücken, das die Gerichte als Sachleistung gar nicht akzeptieren.

Junge-Reyer: Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gegen die beiden zentralen Magazinläden ist Frau Hübner schon zum zweiten Mal gescheitert.

Nun gibt es das Angebot einer Firma, die behauptet, sie könne über Gutscheine den Lebensmitteleinkauf in Berlin flächendeckend ermöglichen.

Junge-Reyer: Das ist großer Unsinn. Da wird eine Art Ersatzgeld geschaffen. Warum sollen die Leute nicht, wie bisher, in den Läden ihrer Wahl einkaufen? Nein, hier wird ein ungeheuer bürokratisches Verfahren in Gang gesetzt, das uns am Ende viel teuerer kommt als die bisherige Praxis. Wir müssen Wertgutscheine ausgeben, die – wie richtiges Geld – in verschiedene Beträge gestückelt sind und noch dazu nur für bestimmte Warengruppen gelten. Das ganze muß verwaltet, kontrolliert und abgerechnet werden – und das für rund 30.000 Asylbewerber in der Stadt! Welch ein Unsinn!

Was ist das Ziel dieser Politik?

Junge-Reyer: Man will es den Leuten so ungemütlich machen wie möglich. Ich nenne das politisch feige. Anstatt ordentliche Rückkehrhilfen zu gewähren, vertreibt man die Leute mit teuerem Bürokratismus und viel Schikane.

Schmiedhofer: Die Sozialbehörden werden mißbraucht. Wir sollen nicht unserer Aufgabe nachkommen, den Flüchtlingen, also meist armen, heimatlosen Leuten, ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Wir sollen es ihnen unbequem machen. Und genau da werden wir nicht mitmachen. Interview: Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen