„Identität nicht ausgewiesen“

■ Einzelne Flüchtlinge mit Grenzübertrittsbescheinigung erhalten keine Sozialhilfe mehr, wenn sie keinen Reisepaß besitzen

Frau J. kann es gar nicht fassen.: Sie soll ihren Wohnheimplatz räumen und erhält auch keine Sozialhilfe mehr. Das Spandauer Sozialamt, das seit Jahren für sie aufkam, ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob Frau J. wirklich Frau J. ist. Freunde bewahren die Bosnierin vor der Obdachlosigkeit und bringen sie mit ihrer eigenen – gekürzten – Sozialhilfe mit durch. Ohne Reisepaß hält sich Frau J., die für die Behörden nicht mehr zu existieren scheint, illegal in der Wohnung ihrer Freunde auf.

Bevor die Bosnierin nach Deutschland fliehen konnte, lebte sie in der Serbischen Republik Srpska als Binnenflüchtling. Ein Flüchtlingsausweis der Serbischen Republik ist der einzige Ausweis, den Frau J. besitzt. Die Ausländerbehörde hatte sie immer wieder aufgefordert, sich einen Reisepaß zu besorgen. Denn ohne den Paß kann Frau J., die wie die allermeisten BosnierInnen ausreisepflichtig ist, weder freiwillig nach Bosnien zurückkehren noch dorthin abgeschoben werden. Doch die bosnische Vertretung verweigert der Frau mit dem serbischen Identitätsnachweis den Paß. Und die serbischen Behörden geben ihr keinen Paß, weil Frau J. Bosnierin ist. „Identität nicht ausgewiesen“ stempelte die Ausländerbehörde deshalb vor ein paar Tagen in die Grenzübertrittsbescheinigung, mit der sie die Bosnierin aufforderte, die Bundesrepublik binnen weniger Wochen zu verlassen. Laut Thomas Raabe, Sprecher der Innenverwaltung, wäre einzig ein Reisepaß ein „Beweis für einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland“. Dokumente wie ein Flüchtlingspaß, die dem Personalausweis vergleichbare Licna-Karta oder ein Ausweis der Internationalen Romani-Union, mit denen sich viele Flüchtlinge legitimieren müssen, „gelten zwar als Ausweis, nicht aber als Beweis für einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland“. Raabe vertritt die Ansicht, damit wären die Sozialämter auch nicht verpflichtet, Sozialhilfe zu zahlen.

Wer seine Identität nicht nachweisen kann, folgerte auch das Spandauer Sozialamt, der könnte ja vielleicht mehrere Identitäten haben, an mehreren Stellen Sozialhilfe kassieren. Der leitende Fachbeamte Jörg Kundt begründete das Mißtrauen mit Erfahrungen bei anderen Flüchtlingen, die in letzter Zeit auf mehr als einem Sozialamt Geld eingestrichen haben. „Wer Betrügereien aufgesessen ist, wird kritisch.“ Das Spandauer Sozialamt wies seine Mitarbeiter an, an Bedürftige ohne Paß keine Sozialhilfe mehr zu zahlen. Das hält Georg Classen, der in der Berliner Passionskirchengemeinde Flüchtlinge berät, für rechtswidrig. „Nicht Sozialämter, sondern Innenbehörden sind dafür da, Doppelidentitäten zu prüfen. Der Sozialstaat ist zudem nicht so konstruiert, daß nur der zu essen bekommt, der einen Reisepaß besitzt.“

Frau J. ist kein Einzelfall, sagt Regina Bengsch von der Pankower Ausländerberatungsstelle „Oase“. Knapp 10 Flüchtlinge, die plötzlich keine Sozialhilfe mehr bekamen, sprachen in den letzten beiden Wochen allein bei ihr vor.

Auch andere Beratungsstellen kennen das Problem. Joachim Rüffel vom DRK hat im Schreibtisch einen Serienbrief an die Berliner Sozialämter. Darin argumentiert er mit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes, wonach Sozialhilfe gezahlt werden muß, sofern kein konkreter Betrugsverdacht vorliegt.

Doch viele Flüchtlinge mußten wie Frau J. die Sozialhilfe vor einem Verwaltungsgericht einklagen. Seit letzter Woche liegt das Urteil vor, und Frau J. bekommt wieder Geld. Das Spandauer Sozialamt hat die umstrittene Weisung jetzt zurückgenommen. Auch die Sozialämter in Treptow und Prenzlauer Berg mußten erst vom Verwaltungsgericht verpflichtet werden, andere Identitätsnachweise als einen Reisepaß anzuerkennen und Geld an Flüchtlinge zu zahlen.

Rechtsanwältin Imeke de Veldige, die zahlreiche MandantInnen aus Exjugoslawien vertritt, ist der Auffassung, die Innensenatsverwaltung müsse mit der Illusion brechen, sie könne die Flüchtlinge schnell loswerden. In vielen Fällen sei die Ausreise weder humanitär vertretbar noch bei den bosnischen oder serbischen Behörden durchzusetzen. De Veldige: „Es ist rechtswidrig, mit Sozialhilferecht ein innenpolitisches Ziel durchsetzen zu wollen.“ Marina Mai