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Flucht aus der Colonia Dignidad in Chile

Deutsche Botschaft schützt die beiden jungen Männer, deren Aussagen den 76jährigen Sektenchef Paul Schäfer in Bedrängnis bringen könnten. Er wird wegen Kindesmißbrauchs gesucht  ■ Von Ingo Malcher

Buenos Aires (taz) – Die zwei jungen Männer nutzten die Jubiläumsfeier zur Flucht. Während in der deutschen Sektenburg Colonia Dignidad, knapp 350 Kilometer südlich von Santiago de Chile gelegen, gerade der 36ste Jahrestag des Bestehens der Kolonie in Chile gefeiert wurde, türmten der 24 Jahre alte Deutsche Tobias Müller und der 18jährige Chilene Zalo Luna Garrido. Nach ihrer Flucht in die chilenische Hauptstadt sind die beiden im Privathaus des deutschen Botschaftssekretärs Alexander Müllen untergekommen.

Der Richter Hernán Gonzales, der die Untersuchungen gegen die Colonia Dignidad leitet, hofft nun, daß die beiden bald in die in Südchile gelegene Stadt Parral kommen, um gegen den Chef der Sektensiedlung, Paul Schäfer, auszusagen. Er hatte beide schon vor Wochen vorgeladen. Der chilenische Innenminister Belisario Velasco erklärte, mindestens einer der Geflüchteten sei zur Aussage bereit.

Aus der Colonia selbst hieß es in einer Erklärung nach der Flucht der beiden, Müller und Luna Garrido seien auf Betreiben der chilenischen und der deutschen Regierung und unter Mithilfe des Pfarrers Adrian Bravo entführt worden. Bravo hatte in den letzten Monaten einige jener Kinder und Jugendlichen betreut, die den 76jährigen Sektenchef Paul Schäfer des sexuellen Mißbrauchs von Kindern bezichtigen. Die Colonia verlangte ihrerseits die „Freilassung“ der beiden jungen Männer.

Schäfer wird per internationalen Haftbefehl gesucht und ist seit acht Monaten flüchtig. Es wird vermutet, daß er sich auf dem 1.300 Quadratkilometer großen Gelände der Colonia versteckt hält.

Der geflohene Tobias Müller war 1983 im Alter von zehn Jahren von seiner Mutter zu Paul Schäfer in die Colonia nach Chile geschickt worden, wo bereits seine Großmutter und ein Onkel lebten. Er soll innerhalb der Colonia gebeten haben, seine Mutter sehen zu dürfen, die sich seit einigen Tagen in Chile aufhält, und die Flucht ergriffen haben, als ihm das verweigert wurde.

Zuletzt arbeitete Müller als Lehrer im Internat der Colonia Dignidad. Daher wird auch vermutet, daß er weiß, wo Schäfer sich verkrochen hat. Denn die Lehrer in der Sektengemeinschaft zählen zum harten Kern der Colonia, die um die Machenschaften Schäfers genau wußten. Ihre harten Methoden werden von den 140 Kindern im Sekteninternat gefürchtet. Angehörige beschuldigen die Colonia-Erzieher, ihre Kinder mit Stromschlägen und Betäubungsspritzen ruhigzustellen. Müller soll außerdem der sogenannten „Vigilia Permanente“ angehört haben, einer Art paramilitärischen Schutztruppe der Colonia.

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