: In Frankfurt radfahren, aber in Weimar Rad fahren
■ Während Politiker sich nicht einigen, setzen Richter die Rechtschreibreform durch
Freiburg (taz) – Die deutsche Rechtschreibung bleibt ein juristisches Problem. Nachdem am Montag das Verwaltungsgericht in Wiesbaden die Rechtschreibreform in Hessen stoppte, entschied das Verwaltungsgericht in Weimar jetzt genau umgekehrt: In Thüringen kann die Reform fortgesetzt werden.
Mit einem Eilantrag wollte eine Mutter aus Jena verhindern, daß ihr Sohn in der Schule die neuen Schreibregeln lernen muß. Das Weimarer Gericht sah jedoch keinen Grund für eine Eilentscheidung. Schließlich stelle die „Unterweisung darin, wie bestimmte Wörter zu schreiben sind, lediglich eine wertneutrale Vermittlung von Sachwissen dar“. Eine Grundentscheidung, die in das Erziehungsrecht der Eltern eingreife, liege hier nicht vor.
Das Wiesbadener Gericht hatte gestern entgegengesetzt argumentiert. So vermittle das Elternrecht den Anspruch, daß Kinder an staatlichen Schulen im Rahmen des Möglichen „optimal“ auf das Leben vorbereitet werden. Dies sei aber, so die Richter, nicht gegeben, wenn die Kinder in der Schule eine „Schülersprache“ erlernen müßten, die vom Rest der Gesellschaft nicht angenommen werde. Ohne Gesetz könne eine derartige Reform nicht eingeführt werden.
Wie man sieht, verstecken sich hinter juristischen Argumentationen im wesentlichen die persönlichen Auffassungen der beteiligten RichterInnen. Anfang der Woche waren noch in sechs weiteren Bundesländern juristische Auseinandersetzungen anhängig. Nach dem Medienwirbel der letzten Tage werden die ReformgegnerInnen bis Ende der Woche wohl in allen Bundesländern juristisch aktiv geworden sein.
Wie geht es nun weiter? Gegen die Entscheidung der Verwaltungsgerichte kann die jeweils unterlegene Seite die nächste Instanz anrufen. Das Land Hessen kündigte an, eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen zu wollen. Vermutlich werden aber auch die Obergerichte zu unterschiedlichen Auffassungen kommen. Dann besteht eine zersplitterte Rechtslage unter den einzelnen Bundesländern. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin kann nämlich in Eilverfahren nicht angerufen werden. Und bis die Hauptverfahren dort gelandet sind, können Jahre vergehen.
Hier wäre deshalb wieder die Politik gefragt. Entweder sie bläst die Rechtschreibreform bundesweit ab. Oder es werden in den Ländern, wo dies von den Obergerichten gefordert wird, entsprechende Gesetze auf den Weg gebracht.
Einzelne Landtage könnten sich dann allerdings querlegen. So kursiert derzeit im Bundestag ein Gruppenantrag von CDU-, FDP-, und SPD-Abgeordneten, der nicht nur die Rechtschreibreform für die Bundesbehörden ausdrücklich ablehnt, sondern auch die Landtage auffordert, die Reform an den Landesbehörden und den Schulen zu stoppen.
Kommen allerdings entsprechende Gesetze dennoch zustande, so kann die Rechtschreibreform nur noch durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt werden. Dort aber wird man wohl wenig Erfolg haben. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Reform war im letzten Jahr zwar nur aus formalen Gründen abgelehnt worden. In einer Randbemerkung stellte das Gericht jedoch klar, daß aus seiner Sicht Grundrechte nicht betroffen sind. Schließlich könne jeder im Privatleben weiter die alten Regeln benutzen, ohne sich zu „blamieren“. Christian Rath
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