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Ein Untersuchungsausschuß des Palästinensischen Parlaments hat Präsident Arafat aufgefordert, sein Kabinett zu entlassen. Außerdem empfiehlt die Kommission, einzelne Minister wegen Korruption vor Gericht zu stellen. Aus Jerusalem Georg Baltissen

Autonom in die eigene Tasche regiert

„Die Kommission empfiehlt dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, das Kabinett aufzulösen und eine neue Regierung aus qualifizierten Experten zu bilden.“ Dies ist die Quintessenz der sechswöchigen Untersuchung einer neunköpfigen Parlamentariergruppe zu Korruptionsvorwürfen gegen die palästinensische Autonomiebehörde, die in der vergangenen Woche Präsident Arafat vorgelegt und gestern im palästinensischen Parlament diskutiert wurde.

Nicht nur hat damit zum ersten Mal in der arabischen Welt eine parlamentarische Untersuchungskommission den Rücktritt der gesamten Regierung gefordert. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus eine Anklageerhebung gegen den Minister für Zivilangelegenheiten, Jamil Tarifi, und den Planungsminister Nabil Schaath sowie weitere Untersuchungen gegen Transportminister Ali Kawasmeh, Kulturminister Yasser Abed Rabbo und andere. Schon Ende Mai hatte in einem ersten Bericht eine von Arafat eingesetzte Untersuchungsbehörde die Veruntreuung oder mißbräuchliche Verwendung von 326 Millionen US-Dollar durch die Autonomiebehörde festgestellt (s. unten).

Planungsminister Nabil Schaath, dem vorgehalten wird, seine persönliche Telefon- und Stromrechnung über das Ministerium abgerechnet zu haben, sagte in einer ersten Stellungnahme: „Das ganze ist eine maßlose Übertreibung. Dem Bericht mangelt es an Nachweisen und Belegen.“ Schaath verneinte insbesondere, daß ausländische Hilfe in private Taschen geflossen sei. „Die Geberländer verfolgen genau, was hier im Land mit ihrem Geld passiert. Dieses Geld ist immer projektgebunden“, sagte er.

Jamil Tarifi, Minister für Zivilangelegenheiten, erklärte, er werde dem Parlament Beweise für seine Unschuld vorlegen. Tarifi wird vorgeworfen, zollfrei importierte Autos für die Autonomiebehörde an Privatpersonen verkauft und seinem Sohn mit israelischer Hilfe die alleinige Exportgenehmigung für Zement nach Jordanien zugeschanzt zu haben. Yasser Abed Rabbo soll 7.500 Dollar private Heizkosten über das Ministerium abgerechnet haben.

Während die Beschuldigten ihre Rechtfertigungen vorbrachten, lobte Landwirtschaftsminister Jawad Saleh die Arbeit der Kommission: „Der Bericht ist bedeutsam, weil er den ersten Versuch darstellt, Verstößen von Beamten und Ministern nachzugehen“, sagte er. Gleichwohl enthalte der Bericht eine Reihe von Mängeln und Fehlern, weil er sich nicht mit den Geheimdiensten und dem Büro des Präsidenten befaßt habe. „Dafür ist Arafat verantwortlich“, sagte Jawad Saleh.

Mutig ist das Vorgehen der Kommission allemal. Noch Anfang Mai wurde der palästinensische Journalist Daud Kuttab für eine Woche in Haft genommen, weil er es gewagt hatte, in einem privaten Fernsehkanal über die Veruntreuung von 326 Millionen Dollar durch die Autonomiebehörden zu berichten.

Der Abgeordnete Husam Khader aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Ballata bei Nablus machte ebenfalls Arafat verantwortlich. Er sagte in einem Rundfunkinterview: „Der Hauptverantwortliche für dieses ganze System ist Yassir Arafat.“ Arafat solle den Bericht sehr ernst nehmen und die notwendigen Veränderungen und Korrekturen vornehmen. Khader fügte hinzu, dies sei Arafats letzte Chance, das Vertrauen der Abgeordneten wiederzugewinnen. Wenn er die Empfehlungen mißachte, werde es eine sehr tiefe Krise in der gesamten palästinensischen Gesellschaft geben.

Marwan Kanafani, ebenfalls Abgeordneter und ehemaliger Sprecher von Arafat, nahm nicht ganz unerwartet den Präsidenten in Schutz. „Arafat ist in dem Bericht mit keinem einzigen Wort erwähnt“, sagte er. Der Bericht werde jetzt erst einmal im Parlament diskutiert. Man werde dann sehen, ob er aufrechterhalten oder verändert werde. „In der Autonomiebehörde gibt es keine Korruption und auch keine mißbräuchliche Verwendung von öffentlichen Geldern und Hilfen aus dem Ausland“, sagte Kanafani.

Die Konsequenzen für Arafat, der sich gegenwärtig auf einer Besuchsreise durch das Westjordanland befindet, sind nicht ganz eindeutig. Während vor allem ausländische Beobachter von einer Schwächung der Position Arafats sprechen, sind palästinensische Kommentatoren eher der Meinung, daß Arafat ohnehin beabsichtige, sein Kabinett umzubilden. Die Vorwürfe gegen bestimmte Minister kämen ihm dabei durchaus zupaß.

Der palästinensische Menschenrechtler Ijad al-Sarradsch kritisiert den Bericht insgesamt: „Was er herausstellt, sind einige lächerliche Phänomene wie den unangemessenen Gebrauch von Mobiltelefonen und Luxuskarossen“, sagte Sarraj. Der Bericht ignoriere aber wichtigere Dinge wie die Mißachtung der Gesetze durch die Sicherheitsorgane und die Wirtschaftsmonopole, über die die Autonomiebehörde bei gewissen Produkten verfüge. In einer Umfrage, die noch vor Bekanntgabe des Berichts durchgeführt wurde, ist das Ansehen Arafats weiter gesunken. Ingesamt sagen nur noch knapp 38 Prozent, daß sie Arafat vertrauen.

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