piwik no script img

Schikane beginnt schon an der Grenze

■ In den letzten 15 Monaten sind 850 Bremer BosnierInnen „freiwillig ausgereist“. Was sie bei ihrer Rückkehr in die alte Heimat erwartet, erlebte der Oldenburger Filmemacher Ali Zahedi

„Die Schikane fängt schon an der österreichischen Grenze an, wenn alte bosnische Frauen bis aufs Hemd durchsucht werden. Danach wird alles nur noch schlimmer.“Mit diesem Eindruck kam Ali Zahedi, ein Oldenburger Filmemacher, jetzt von seiner zweiten Reise nach Bosnien zurück. Er besuchte RückkehrerInnen aus Deutschland, die im Frühjahr in die ehemalige Heimat aufgebrochen waren.

„Es ist unvorstellbar, was ich gesehen habe“, sagt er. Eine fünfköpfige Familie, die er noch aus Oldenburg kannte, lebt heute in Sarajevo von der Hand in den Mund. „Dabei haben sie Glück, daß sie in einem Zimmer bei Verwandten unterkommen konnten“, sagt Zahedi. „Aber das Haus, in dem sie wohnen, haben sie besetzt. Wenn die Besitzer zurückommen, müssen meine Leute weg. Jetzt leben sie von 110 Mark Rente – das ist nichts.“

Sarajevo hat Zahedi schockiert: Die weitgehend wieder aufgebaute Altstadt, wo großstädtisches Leben herrscht, einerseits – und Stadtrandgebiete andererseits, wo Menschen in zerstörten Häusern leben. Überall an den Straßen sitzen Frauen und verkaufen buchstäblich alles was sie haben, berichtet Zahedi. Vater und minderjähriger Sohn seiner „Oldenburger“Familie ziehen täglich von einer Baustelle zur nächsten und nehmen für ein paar Mark jede Arbeit an.

„Meine Bekannten zählen zum Essen die Scheiben Brot ab. Das ist Rückkehrer-Alltag in Sarajevo.“Ebenso wie gefährliches Kinderspiel – wegen Verletzungsgefahr durch Minenexplosion; in Flughafennähe werden täglich 20 Minen geräumt. Als riskant gelten auch Taxifahrten für Frauen, die kaum noch allein einsteigen – um nicht „zu verschwinden“wie man sich erzählt, oder um keine Vergewaltigung zu riskieren. Dabei wissen alle: „Wer in Sarajevo unterkommt, hat Glück“. Denn eigentlich nimmt der Kanton, ebenso wie die Region Tuzla, keine RückkehrerInnen mehr auf. Es gibt keinen Wohnraum. Für die Versorgung der Bevölkerung kann niemand garantieren.

Zahlreiche „deutsche“RückkehrerInnen hat Zahedi auch in sogenannten Transitlagern angetroffen. Dort bleiben die Flüchtlinge oft monatelang, weil sie nicht wissen, wohin. „Sie können nicht in ihre Heimatstädte zurück, weil die oft serbisch besetzt sind“, berichtet Zahedi. Unter dem großen Ausreisedruck in Deutschland hatten sie gegen drohende Ausweisungen aber auch nie etwas unternommen. „Jetzt leben diese Menschen unter größter seelischer Belastung im Lager.“Sie müssen über ein „Begrüßungsgeld“von ein paar hundert Mark und Essen und Trinken froh sein, sagt Zahedi.

RückkehrerInnen aus Deutschland haben es in Bosnien besonders schwer. Was Hilfsorganisationen schon länger berichten, hat er selbst beobachtet: Daß viele sich irgendwie selbst durchbringen müssen. Hilfe wird ihnen – oft mit bürokratischen Tricks – versagt. Man nimmt an, daß Flüchtlinge aus Europa Geld mitbringen, um sich eine Weile über Wasser zu halten. „Dazu bekommen sie zu hören: Erst habt Ihr euch in Europa satt gegessen – und jetzt kommt Ihr und eßt uns unser Brot weg.“

Über die Stimmung gegenüber der deutschen Rückkehrer-Politik in Bosnien sagt Zahedi: „Viele Bosnier sagen heute, die Deutschen schieben die Probleme einfach ab.“In welchem Umfang das geschieht, verzeichnet eine große Tafel in Sarajevos Flughafenhalle – als „Deportationen aus Deutschland“. Die 35 abgeschobenen BosnierInnen aus Niedersachsen und die drei aus Bremen fallen dabei kaum mehr ins Gewicht.

In Bremen bahnt sich derweil eine Gegenbewegung an: In 160 Gerichtsverfahren versuchen von Abschiebung bedrohte BosnierInnen, gegen die drohende Abschiebung anzugehen.

ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen