: Milliardenpoker mit vier Unbekannten
Wie die Bewag verkauft wurde: Ein uralter Vertrag und die Bildung des Bieter-Konsortiums diktierten die Bedingungen. Ein Blick hinter die Kulissen des größten Geschäfts mit öffentlichem Eigentum in Berlin ■ Von Bernhard Pötter
Dienstag, der 13., war für den Senat ein Freudentag. Im warmen Mai konnte die Große Koalition zum Thema Bewag-Verkauf endlich Vollzug melden. Stolz rechnete Finanzsenatorin Annette Fugmann- Heesing (SPD) im Roten Rathaus ihren Erfolg vor: 2,9 Milliarden Mark Einnahmen für den maroden Landeshaushalt, 290 Millionen Mark zusätzliche Investitionen der Käufer. In 16 Monaten hatte ein bis aufs Messer zerstrittener Senat den größten Verkauf öffentlichen Eigentums im Land Berlin und den größten Deal auf dem deutschen Strommarkt seit Jahrzehnten über die Bühne gebracht. Trotz zeitweiliger Unklarheit darüber, was Berlin eigentlich verkaufen wolle, trotz Nachrichtensperre und gezielten Indiskretionen, trotz Rückziehern von Investoren und drohendem Scheitern der Verhandlungen hatte die Finanzsenatorin das „Juwel“ des Tafelsilbers verkauft, wie sie erklärte: „Berlin zieht mit dieser Veräußerung eine Trumpfkarte für die Zukunft.“
Um diesen „Trumpf“ war hoch gepokert worden – und Berlin hatte dabei nicht die besten Karten. Denn obwohl die Finanzverwaltung das erzielte Ergebnis als das bestmögliche einstufte, war das Verfahren an vier entscheidenden Punkten anders gelaufen als erhofft. Erstens war das Land durch einen alten Vertrag mit den Bewerbern Preag und Viag in seiner Handlungsfähigkeit beim Verkauf eingeschränkt und mußte den beiden Bietern eine Garantie für die Endauswahl geben. Zweitens hatte die Finanzverwaltung gehofft, unter konkurrierenden Investoren den Preis so hoch wie möglich zu treiben – die Konsortiallösung verhinderte das. Drittens hatte die Umweltverwaltung gehofft, mit einem ausländischen Investor das Kartell der deutschen Atomstromgiganten zu knacken – der US-Konzern Southern Company zog aber die Kooperation mit seinen deutschen Konkurrenten vor. Und viertens ist weiterhin unklar, ob das Geschäft wegen wettbewerbsrechtlicher Mängel vom Bundeskartellamt untersagt wird.
Die Idee, die Bewag zu verkaufen, war alt: Bereits 1988 und 1992 hatte der Landesrechnungshof in einer „internen Prüfungsmitteilung“ die Finanzverwaltung gefragt, ob der mit dem Landesbesitz Bewag „angestrebte Zweck nicht besser auf anderem Weg“ erreichbar sei. Elmar Pieroth, CDU-Finanzsenator der ersten Großen Koalition, ließ dazu im Sommer 1995 eine Senatsvorlage erarbeiten. Der Erlös für 25,818 Prozent der Bewag-Anteile wurde auf nur 500 Millionen Mark taxiert. Die neue Finanzsenatorin dagegen ließ die Bewag-Anteile, deren Verkauf am 13. Februar 1996 vom Senat beschlossen wurde, auf 1,15 Milliarden schätzen.
Anders als ihr Vorgänger wollte Fugmann-Heesing die Kontrolle über den Verkauf behalten. Den Pieroth-Vorschlag, die Aktien an die Bankgesellschaft Berlin zu verkaufen und die Bank einen Investor suchen zu lassen, lehnte sie ab. Der Deal hätte das Land 45 Millionen Mark gekostet, 2 Millionen davon als Prämie für die Bankgesellschaft, in deren Vorstand bis zum 30. Juni 1996 der Fraktionschef der CDU, Klaus-Rüdiger Landowsky, saß. Den Zuschlag erhielt die Londoner Investmentbank „Barclays de Zoete Wedd“ (BZW) mit Aussicht auf ein erfolgabhängiges Honorar „im Millionenbereich“. Die Bankgesellschaft wurde „Co-Leader“ in dem Deal.
Im Mai/Juni 1996 schrieb Barclays die Bewag zum Verkauf aus, der in mehreren Phasen ablief: 86 Konzerne in insgesamt 15 Ländern wurden aufgefordert, sich um 25,8 Prozent der Bewag zu bewerben. 28 von ihnen meldeten Interesse an. Unter ihnen waren alle großen deutschen Stromkonzerne, Unternehmen aus Frankreich, Großbritannien, Schweden, Italien, Norwegen und Spanien und als größte Gruppe insgesamt neun Interessenten aus den USA.
Fehlkalkulation I: Die Bewag, das „Juwel des Tafelsilbers“, war im Frühjahr 1996 auf dem freien Markt unverkäuflich. Denn ein Konsortialvertrag von 1931 zwischen Berlin, der Preag und der Viag räumte den Stromkonzernen ein Vorkaufsrecht für 25 Prozent der Aktien ein. Unter dieser Bedingung, darüber war sich die Finanzverwaltung klar, war auch der Erwerb der anderen 25 Prozent für einen Interessenten „ausgesprochen unattraktiv“. Diese Vorkaufsrechte wurden aus dem Weg geräumt, indem Preag und Viag ein Platz in der Endauswahl zugesagt wurde. Damit waren zwei der geplanten drei bis fünf Plätze auf der short list bereits vor Beginn des Verfahrens vergeben.
Trotz des Senatsbeschlusses zum Verkauf von 25 Prozent, trotz der weltweiten Ausschreibung über 25 Prozent – im Hinterkopf der Finanzsenatorin lautete das Motto: „Ganz oder gar nicht“. Nur ein Verkauf aller 50,8 Prozent der Bewag-Anteile würde Berlin einerseits aus dem Haushaltsloch heraushelfen und andererseits einen einigermaßen offenen Bieterwettbewerb erlauben. Diesen Überlegungen kam ein Vorschlag aus der Umweltverwaltung entgegen. Beim Gesamtverkauf könne, so hoffte man bei Umweltsenator Peter Strieder (SPD), ein ausländischer Großinvestor mit der Mehrheit an der Bewag in den bislang unter den deutschen Strommultis aufgeteilten Markt einbrechen.
Gesagt, getan: Einen Tag vor dem Ablauf der ersten Phase des Bieterverfahrens und drei Tage vor dem Beginn der dramatischen Klausur für den Haushalt 1997 verkündete Fugmann-Heesing am 10. Oktober im Handelsblatt, sie wolle die gesamten 50,8 Prozent der Bewag verkaufen. Die Interessenten wurden informiert, sie könnten Angebote für eine Option auf weitere 25 Prozent abgeben. Doch juristisch saß das Land in der Klemme. Denn nun mußte schnell die Flurbereinigung des Konsortialvertrages von 1931 mit Preag und Viag erfolgen, die beide ein vitales Interesse an der Bewag hatten und ihre starke Position nicht umsonst räumen würden. Die Finanzverwaltung teilte dabei nicht die Bedenken von Umweltverwaltung und Kartellbehörde gegen die beiden Unternehmen, die zusammen mit der RWE aus Düsseldorf den deutschen Strommarkt beherrschen. „Das waren über sechzig Jahre gute Partner der Bewag“, heißt es aus der Verwaltung. Auch ohne die Privilegierung wären Preag und Viag „wahrscheinlich auf der short list gelandet“.
Wie weit das Vertrauen zu den Stromgiganten reichte, zeigen die Verhandlungen um den Konsortialvertrag. Zwar besteht die Finanzverwaltung darauf, zu jeder Zeit seien alle einschlägigen Verträge bekannt gewesen – doch bei den Verhandlungen hantierte Berlin mit dem Material der Gegenseite: Der Vertragstext, mit dem die Juristen des Landes argumentierten, trägt den Faxkopf des Viag-Archives, ein ergänzendes Papier wurde von der Preag bezogen – keine günstigen Voraussetzungen, um den Ausstieg aus dem Vertrag mit ebendiesen Unternehmen zu betreiben. Ein Gutachten des Heidelberger Professors Peter Ulmer kam zu dem Ergebnis: Der Vertrag, der keine Kündigungsklausel enthielt, sei mit Wirkung vom 30. Juni 1997 auflösbar. Ein drohender Prozeß von Viag und Preag aber könne das Verfahren unabsehbar verschleppen. Zeit aber war ebenso Mangelware wie Geld. Fugmann-Heesing hatte verkündet, den Verkauf für den Haushalt 1996 wirksam zu machen – bisher ist davon kein Pfennig an das Land geflossen.
Am 11. Oktober lagen 8 unverbindliche Angebote für 25,8 Prozent vor: Die Bieter waren die US- Firmen Duke Energy, Southern Company und Enron, die britische Firma PowerGen, die Hamburger HEW sowie RWE, Viag und Preag. Die Gasfirma Wintershall hatte ein Angebot über 50 Prozent vorgelegt. Den Interessenten wurden in eigens eingerichteten Datenräumen in der Anwaltskanzlei des Landes, Oppenhoff & Rädler, und in London Einsicht in die internen Daten der Bewag gewährt und ein Gespräch mit dem Bewag- Vorstand vermittelt.
Im November ruhten die Verhandlungen, weil der Konsortialvertrag geändert werden mußte. Am 25. November forderte das Land die Interessenten auf, Angebote für 25 mit Option auf 50,8 Prozent der Aktien abzugeben. Am 20. Dezember stand die short list mit vier Interessenten: neben Viag und Preag noch HEW und Southern. PowerGen und Enron waren nicht auf der Liste, wurden aber dennoch zur Abgabe von Angeboten aufgefordert.
Die beiden Konzerne aus Großbritannien und den USA steigen am 22. und 23. Januar unter anderem deshalb aus, weil gegen ausländische Investoren Stimmung gemacht wurde. Besonders CDU- Fraktionschef Landowsky hatte sich dagegen ausgesprochen, daß die Geschicke der Bewag „künftig in Houston oder Großbritannien“ entschieden würden. „Landowskys Äußerungen haben uns einige Millionen gekostet“, heißt es von der Finanzverwaltung. Seit Beginn des Verfahrens galt der eigentlich unbeteiligte Landowsky als Verfechter der Interessen des Viag- Konzerns. Die Süddeutsche Zeitung berichtete, er habe „ausgezeichnete Kontakte“ zum Viag- Manager und ehemaligen bayerischen Finanzminister Georg von Waldenfels.
Nachdem der SPD-Landesparteitag und der Senat Mitte Januar 1997 den Weg für den Gesamtverkauf freigemacht hatten, gab es drei Kaufangebote. Keines von ihnen entsprach den Anforderungen der Finanzverwaltung: Southern bot um einen Anteil zwischen 30 und 50,8 Prozent. Viag und HEW zusammen wollten für 3 Milliarden Mark 50,8 Prozent kaufen. Dieser Preis lag 100 Millionen über dem des später gebildeten Konsortiums, doch Fugmann-Heesing fehlte bei der deutschen Lösung die internationale Beteiligung – und auch das Kartellamt hätte Bedenken gehabt. Außerdem lagen die Zusatzleistungen von Viag/HEW nur bei 60 Millionen, im Gegensatz zu den 290 Millionen des Konsortiums. Preag wiederum legte ein Angebot für 10 Prozent vor.
Fehlkalkulationen II und III: Folgen des Konsortiums. Der Zusammenschluß der Konkurrenten verhinderte in der Endphase ein hartes Bieterverfahren und den ökologisch erhofften Einbruch in das deutsche Strommonopol. Weil Southern Company auch bei einer Übernahme der Aktienmehrheit und einer Milliardeninvestition nicht das Sagen haben würde, lehnten die Amerikaner die Gesamtübernahme der Bewag ab: Laut Mitbestimmung sind von den 20 Bewag-Aufsichtsräten 10 für die Arbeitnehmerseite und einige der Arbeitgebersitze für die alten Minderheitseigner wie Viag und Preag reserviert. Um das Geschäft zu retten, blieb allein die Konsortiallösung: Damit war es vorbei mit einer Verhandlungsstrategie, die darauf zielte: „Wir setzen die Bieter jeweils in ein Zimmer und pendeln zwischen ihnen hin und her, bis der Preis am höchsten ist“.
Das Konsortium beendete auch den Traum der Energie- und Umweltpolitiker. Das Kartellamt hatte die Amerikaner „bekniet“, die Mehrheit zu übernehmen und den Alleingang zu wagen. Doch Southern zog der Konfrontation mit den deutschen Stromriesen die Allianz vor. Die Umweltverwaltung mußte erkennen, daß ihre Strategie gescheitert war: „Inzwischen wissen wir, daß ein Verbundunternehmen wie die Bewag nicht gegen die anderen Stromer zu verkaufen ist.“
Ein Ausstieg von Southern hätte das Verfahren gekippt: Denn Fugmann-Heesing hatte wiederholt klargemacht, wenigstens ein Ausländer müsse unter den Käufern sein. Das Festhalten an einem ausländischen Investor hatte mehrere Gründe: Einerseits signalisierte das Kartellamt Einverständnis, vor allem aber wertete die Finanzverwaltung den Bewag-Verkauf als Testfall für andere Privatisierungen. So müsse schon deshalb ein Ausländer zum Zug kommen, um bei kommenden Verkaufsverhandlungen für ausländisches Kapital interessant zu bleiben: „Eine unmittelbare Wirkung auf die Gasag-Privatisierung kann erwartet werden“, heißt es.
Mögliche Fehlkalkulation IV: Der Kaufvertrag gewährt den Vertragspartnern bis zum Ende des Jahres die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten, wenn es keine Genehmigung des Kartellamtes gibt. Das Bundeskartellamt hat bereits angekündigt, den Vertrag in seiner jetzigen Form zu untersagen. Im für Fugmann-Heesing schlimmsten Fall erweisen sich der Verkauf der Bewag und die Einnahmen für die Landeskasse als hinfällig. Die Finanzverwaltung allerdings ist fest entschlossen, an den eigenen Erfolg zu glauben: Eventualplanungen für diesen finanzpolitischen Super-GAU gebe es nicht, heißt es.
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