Koalitionäre fürchten Koalitionsstreit

Wenn auch nach dem zweiten Vermittlungsverfahren im September die Steuerreform wieder platzt, gibt es Ärger mit der FDP. Sie besteht ultimativ auf Senkung des Solidaitätszuschlags  ■ Aus Bonn Markus Franz

Nachdem die Steuerreform und damit auch die Senkung des Solidaritätszuschlags am Mittwoch gescheitert sind, warten alle Beobachter gebannt auf den nächsten Koalitionsstreit. Eigentlich müßten sich FDP und Union seit gestern um die Frage fetzen, ob jetzt ein eigenständiges Solisenkungsgesetz verabschiedet werden soll. Doch die Koalition hat einen Weg gefunden, diesen Streit wenigstens um ein paar Wochen zu verschieben: Sie beantragt ein zweites Vermittlungsverfahren für September, um die Steuerreform angeblich doch noch über die Bühne zu bringen.

Die Koalition setzt darauf, daß die Opposition unter zunehmenden Druck der Öffentlichkeit doch noch einknickt. Sie will deshalb die Stimmung gegen die SPD weiter schüren. „Ich wundere mich, daß die Wirtschaft nicht noch mehr in die Offensive geht“, sagt ein CDU- Mann. Doch möglicherweise verkennt die Koalition, daß die Zweifel an der Finanzierbarkeit ihrer Steuerreform zuletzt über alle Parteigrenzen hinweg gestiegen sind. Zudem kann es sich die SPD kaum leisten, plötzlich nachzugeben und damit ihre bisherige Haltung als Blockadepolitik zu entlarven. SPD und Grünen ist daher Glauben zu schenken, wenn sie sagen, daß auch das zweite Vermittlungsverfahren erfolglos sein wird.

Es fragt sich, ob sich die Koalition ihre rein auf Zeit setzende Taktik leisten kann? Schließlich steht sie nach dem Scheitern der Steuerreform mit leeren Händen da. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer können beide Seiten nicht für sich als Erfolg verbuchen. Es gab zuletzt niemanden, der sich ernsthaft für diese Steuer eingesetzt hätte, die schließlich auch von defizitären Unternehmen aufgebracht werden muß.

Sollte die Koalition allein mit dem Vorwurf der Blockadehaltung an die SPD in den Wahlkampf ziehen, würde sie das nicht gerade als handlungsfähig auszeichnen. Aussichtsreicher wäre der Versuch, wenigstens das durchzusetzen, wozu sie unabhängig von der Opposition in der Lage ist. Dafür bietet sich die vereinbarungsgemäße Senkung des Solidaritätszuschlags um zwei Prozentpunkte an, was einer Nettoentlastung von 7,5 Milliarden Mark entspricht. Die Wähler würden sehen, daß es die Regierung mit Steuererleichterungen wirklich ernst meint. Zudem gibt es kaum eine andere Möglichkeit, um einen Koalitionsstreit zu vermeiden. Die FDP macht den Fortbestand der Koalition von der Solisenkung abhängig. Der Union bleibt also die Wahl, die FDP durch ein Einlenken zu stärken oder die Koalition durch endlose Streitereien zu schwächen.

Das sehen auch viele Unionspolitiker so. „Wir wollen ja die Senkung des Solis“, sagt ein CDU- Mann resigniert. „Aber wir wissen nicht, wie das finanziert werden könnte.“ Die FDP hat immer noch keine Vorschläge für eine Gegenfinanzierung vorgelegt und sieht dafür nach eigener Aussage bis zum endgültigen Scheitern der Steuerreform auch keine Veranlassung. Dennoch scheint sich bei der Koalition die Einsicht durchzusetzen, daß das Wahlvolk konkrete Ergebnisse sehen will. Indem sie zustimmte, die Gewerbeertragssteuer (siehe Kasten) verfassungsmäßig abzusichern, ist sie deutlich über ihren Schatten gesprungen. Bis zuletzt hatte sie ihre Ablehnung bekräftigt – aus gutem Grund: Es ist einmaliger, daß eine Steuer, eine Belastung für die Bürger, im Grundgesetz festgeschrieben wird. Wie wichtig der Koalition vorzeigbare Ergebnisse sind, zeigen auch die in den letzten Tagen unterbreiteten Angebote, die Nettoentlastung auf 15 Milliarden Mark zu halbieren sowie den Spitzensteuersatz nicht wie geplant zu senken (45 statt 39 Prozent). Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Repnik sagte gestern gar: „Wir sind bei allen Punkten bereit, uns in der Mitte zu treffen.“ Die SPD scheint dagegen keinen Druck zu verspüren, die Verabschiedung von Reformen voranzutreiben. Sie hält an ihrer Maximalforderungen „Keine Mark Nettoentlastung“) fest.