■ Standort Deutschland, Teil 2: Südländisches Ambiente in Wilhelmshaven
Den Berliner Lesern der taz ist Helmut Höge durch seine Kolummne „Normalzeit“ bekannt. Derzeit streift er durch den Rest des Landes und sucht weitere Dokumente der Lebenskunst. Sein Buch „Berliner Ökonomie“ erschien im BasisDruck-Verlag.
„Südländisches Ambiente“. So nennt die Jade-Stadt Wilhelmshaven (liebevoll WHV genannt) ihren „Charme“. Aber so weit bin ich noch nicht. Zwischen Krummhörns Nordpunkt Greetsiel, wo Ruhrgebietler den Ton angeben, und WHV liegen 70 Kilometer Mutterkreuz-Küste.
Hier machen Kleinfamilien und Alleinerziehende Urlaub. Über ihre Kinder werden sie dort erbarmungslos ausgenommen. Wenn ein Krabbenbrot zehn Mark kostet, eine Scholle zwanzig, ein Schlemmereis fünf und alle zehn Meter Drachen, Tic- Tac-Toe-T-Shirts und Muscheln aus China verkauft werden, dann sind 200 Mark am Tag für eine vierköpfige Familie nichts. Jedes Weinen wird mit Gekauftem gestillt.
Bei den mit ihren Söhnen im Sand buddelnden Vätern entdecke ich Unterschiede zwischen Kopf- und Handarbeiter: Erstere stehen mit der Schaufel in der Hand verlegen rum, und letztere graben sich mitunter derart verbissen ein, als wären sie gerade im Oderbruch auf Einsatz.
Auf dem Wochenmarkt bieten Biobauern arabische Lebensmittel an, an einem Stand hängt ein Schild „Besuchen Sie auch unsere Filiale in Singapur“. Bis auf eine mit einem Bus aus England rübergekommene koreanische Reisegruppe trägt hier alles einen legeren Freizeit-Mix.
Wenn mir jemand vor neun Jahren prophezeit hätte, daß ich es mit meinem grauen 300-Zloty- Anzug noch mal zum bestangezogensten Deich-Promenierer bringen würde, hätte ich gesagt: „Wahnsinn!“
In Wilhelmshaven geht man auf die „Südstrand-Promenade“, eine geklinkerte Deichmeile mit Strandkörben, Hotels und Museen, wo der NDR im Sommer „Live-Acts“ aufnimmt (als Soundcheck wird immer wieder das Lied „Bin ein Kind vom Wattenmeer“ durch die Lautsprecher gejagt). Neben der Promenade gibt es zwar noch einen ausgedehnten Fußgängerzonen-Bereich, aber kein Zentrum – in dieser seit 1871 von und für die Kriegsmarine geschaffenen Stadt, in der noch immer die Bundeswehr die markantesten Einrichtungen hält.
Die neueren Gebäudeensemble – wie das „Jadezentrum“ und das gerade fertiggestellte Bahnhofs-Center – wirken dagegen wie Fremdkörper. Unglücklich plaziert ist auch das „Technologie-Center Nordwest“ am Stadtrand, auf dem riesigen Gelände der mit der AEG-Abwicklung untergegangenen Olympia-Werke.
Schon vorher hatten die Sozialdemokraten als „strukturstützende Maßnahme“ die Verwaltung der von ihr geschaffenen Künstlersozialkasse nach WHV verlegt. Als ich dort vorsprach, um Unterlagen (Rezensionen) für eine thailändische Prostituierte, die sich als Sängerin versichern lassen wollte, abzugeben, erfuhr ich allerdings, daß die meisten KSK-Arbeitsplätze zunächst mit Auswärtigen besetzt wurden. Seit dem Beitritt des „Leselandes DDR“ hat diese Behörde geradezu Verteidigungsaufgaben übernommen und ist enorm gewachsen.
Auf meine Frage, einem neben mir Sitzenden im neuen Edellokal „Rossini“ gestellt, wovon diese Stadt eigentlich lebt und warum überhaupt, wird mir geraten, das große Kulturzentrum „Pumpwerk“ zu besuchen. Dort ist dann aber „geschlossene Gesellschaft“: Die Marine veranstaltet eine Grillparty – ohne Uniformzwang zwar, aber ich troll' mich trotzdem ins Hotel, wo lauter Eltern logieren, die ihren Sohn besucht haben, der bei der Marine ist. „Er sieht gut aus, findest du nicht?“ „Dünner ist er geworden!“
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