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Die Komoreninsel Nzwani hat seit gestern einen eigenen „Präsidenten“. Die Sezessionisten um Abdallah Ibrahim (71) begehren jedoch nicht nur gegen die Zentralregierung in Moroni auf. Sie wollen sogar die Wiederanbindung ans ehemalige Mutterland Frankreich. Dieser Wunsch jedoch stößt in Paris nicht unbedingt auf Gegenliebe. Aus Paris Dorothea Hahn

Ruf nach den alten Herren

Die Mütter und Väter des nationalen Befreiungskampfes würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie's wüßten: Auf einer winzigen Insel im Indischen Ozean demonstrieren seit Tagen Bananen- und Maniokpflanzer für eine Rückkehr in den Schoß der Kolonialmacht. „Es lebe Frankreich!“ rufen die Menschen auf Nzwani. Dazu hissen sie die Trikolore anstelle der Nationalflagge der „Islamischen Bundesrepublik Komoren“ und tragen Poster aus dem französischen Präsidentschaftswahlkampf vor sich her. Darauf prangt das Konterfei Jacques Chiracs sowie sein Slogan „Frankreich für alle“.

Nach tagelangen Demonstrationen von bis zu 7.000 Menschen in der Hafenstadt Mutsamudu (10.000 Einwohner) bestimmten die Sezessionisten von Nzwani (früher: Anjouan) gestern einen eigenen Präsidenten. Der 71jährige Abdallah Ibrahim, einst Premier der gesamten Republik, soll künftig ihre Geschicke leiten. Auch auf der Nachbarinsel Mwali (früher Mohéli) wurde inzwischen die französische Flagge gehißt.

Die Alternativen der Sezessionisten, die bereits am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, ihre Unabhängigkeit proklamierten, lauten: „entweder gleich französisch oder unabhängig, aber mit einer engen Bindung an Frankreich“. Mit der komorischen Regierung in Moroni auf der Nachbarinsel Njazidja (früher: Grande Comore) wollen sie partout nichts mehr zu tun haben. Die sei korrupt, wirtschafte ausschließlich in die eigenen Taschen und gewähre den übrigen Inseln keine Rechte, so behaupten die Sezessionisten.

Von dem Berg Nioumakélé, der ärmsten Region Nzwanis, aus, wo seit einigen Jahren Kinder mit vom Hunger aufgeblähten Bäuchen herumlaufen, kann man im Osten die Gestade der anderen Nachbarinsel erkennen, wo jeder Komorer mindestens einen Cousin hat. Geographisch gehört Mayotte zu den vier Komoren, politisch aber ist Mayotte französisch. Denn 1975, als die Komoren ihre Unabhängigkeit von Frankreich proklamierten, verblieb Mayotte bei der Kolonialmacht. In einem Referendum, das die damalige linke Regierung der Komoren als „illegal“ und „Angriff auf die Souveränität“ qualifizierte, votierten die Einwohner von Mayotte 1976 zu 99,4 Prozent für Frankreich.

Aus der heutigen Sicht der Einwohner von Nzwani, die in den 70er Jahren die vehementesten Unabhängigkeitsbefürworter des gesamten Archipels waren, zogen die Nachbarn damit das große Los. Denn die Kolonialmacht zeigte sich dort ausgesprochen spendabel. Bis heute unterhält Paris in dem „überseeischen Territorium“ Mayotte nicht nur eine Militärbasis, sondern sorgt auch für den üblichen französischen Lebensstandard. Die Islamische Bundesrepublik Komoren ihrerseits ist eines der ärmsten Länder der Welt.

Politisch haben die Komorer in den 22 Jahren ihrer Unabhängigkeit eine Menge ausprobiert. Ihre Experimente reichten von einem – vorübergehenden – Verbot des Kopftuchs bis hin zu der – ebenfalls vorübergehenden – Entsendung eines proiranischen Muslims in das Parlament von Moroni. Bürger der einstigen Kolonialmacht waren nie besonders fern. Allen voran der französische Söldner Bob Denard, der in Moroni die Präsidentschaftsgarde aufbaute, dort für die Ermordung zweier Präsidenten verantwortlich ist und drei Putsche inszenierte, bevor er beim vierten Putschversuch im Oktober 1995 scheiterte. Damals landeten 600 französische Soldaten, um ihren Landsmann zu stoppen und wieder rechtsstaatliche Verhältnisse einzuführen.

Heute wollen weder Paris noch Moroni etwas von den Sezessionisten von Nzwani wissen. Präsident Mohammed Taki Abdoulkarim, der 1996 auch auf Nzwani mit großer Mehrheit gewählt wurde, hält seine Militärs bisher zur Zurückhaltung an; im März hatten deren Schüsse in eine Demonstration auf Nzwani ein Menschenleben gekostet und für großen Zulauf zu den Sezessionisten gesorgt. Darauf sagte der Präsident den Aufständischen Bürgermeisterwahlen und mehr Autonomie zu.

Im 10.000 Kilometer entfernten Paris, das erstmals in seiner Geschichte mit dem Rückkehrwunsch einer einstigen Kolonie konfrontiert ist, versichern die linke Regierung und der konservative Präsident unisono, daß an der „territorialen Integrität“ der Komoren nicht zu rütteln sei und daß an eine „Rückkehr zu Frankreich gar nicht zu denken“ sei. Paris will dieses Mal sogar völlig auf ein Eingreifen in den Komoren verzichten und statt dessen die „Organisation afrikanischer Einheit“ (OAU) vor Ort vermitteln lassen. Der Unterhändler der OAU reiste gestern bereits nach Moroni, wo allerdings unklar war, ob die Regierung seine Anwesenheit überhaupt wünscht.

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