: "Methoden wie bei McCarthy"
■ Der SED-Forschungsverbund an der Freien Universität betreibt politische Hexenjagd, ohne die eigene politische Vergangenheit zu reflektieren, kritisiert Peter Steinbach, FU-Professor und Wissenschaftlicher Leite
Die Politikwissenschaften sind im Umbruch: Seit der Wende gibt es drei große Fachbereiche, die Mittel werden radikal gekürzt, und mit dem Ende der DDR hat sich eine neue Qualität der DDR-Forschung entwickelt. Um den Umgang mit der Vergangenheit ist neuer Streit entbrannt. Der Forschungsverbund SED-Staat an der FU wirft Peter Steinbach vor, seine Forschung und seine Tätigkeit an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand sei von der SED beeinflußt gewesen. Die Gedenkstätte dokumentiere die DDR-Sicht. Siehe Bericht Seite 4
und Kommentar Seite 10
taz: Sie haben sich auf den Lehrstuhl von Eberhard Jäckel in Stuttgart beworben. Warum wollen Sie Berlin den Rücken kehren?
Peter Steinbach: Das hat erstens persönliche Gründe. Es ist aber sicherlich auch eine Reaktion auf bestimmte Erfahrungen hier. Ich habe mich in einer Situation beworben, in der der Ärger über die Universität sehr groß war und in der ich mich fragte, ob es überhaupt noch Sinn hat, hier weiterzuarbeiten. Hinzu kam, daß sich im Zuge der Bewerbung herausgestellt hat, daß Stuttgart durchaus sehr attraktiv ist. Stuttgart hat eine sehr große Bibliothek. Und Stuttgart hat in unmittelbarem Umfeld die zentrale Stelle für die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, die mit Sicherheit viel stärker zu einer Forschungsstelle wird.
Was ärgert Sie hier?
Ich bin vor genau fünf Jahren hierhergekommen. Die Professur, auf die ich mich beworben hatte, war so etwas wie ein Traumziel. Es gibt in Deutschland eigentlich nur diese und eben die Stuttgarter Professur, die ganz programmatisch Geschichte und Politikwissenschaft miteinander verbindet. Jetzt stehen wir in einer kritischen Situation, die nicht allein den Geldmangel reflektiert, sondern die die Unfähigkeit reflektiert, sich klarzumachen, was Universität heute sein könnte. Für mich ist Universität ein Zusammenhang über Generationen hinweg. In diesem Zusammenhang scheint mir unsere Universität völlig aus dem Lot geraten zu sein. Am Fachbereich Politikwissenschaft bin ich der zweit- oder drittjüngste unter den Professoren, und ich gehe auf die 50 zu.
Wir erleben im Moment eine Universität, die sich um das Nachwuchsproblem überhaupt nicht Gedanken macht, die dieses Problem vergißt. Man versucht das besänftigend vor sich selbst zu rechtfertigen, indem man sagt, man sei eben Massenuniversität geworden. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, daß man überhaupt nicht darauf vorbereitet ist, guten, leistungsfähigen, schnellen, originellen und hochmotivierten Studenten in dem Moment, wo sie am meisten darauf angewiesen sind, nämlich in der Examensphase, überhaupt eine sinnvolle Perspektive für eine Weiterarbeit zu geben, die nicht unbedingt auf die Universität führen muß. Wir denken an der Freien Universität nicht mehr in Qualifikationszusammenhängen, sondern wir denken fiskalisch.
Sieht das denn an anderen Universitäten anders aus?
Die FU scheint mir besonders rigide zu sein. Wenn Sie etwa die Diskussion über studentische Hilfskräfte an den Bibliotheken nehmen, dann werden Sie sehen, daß an der TU und an der Humboldt-Universität ein ganz anderes Modell praktiziert wird. Niemand kommt dort auf die Idee, serienweise Studenten auf die Straße zu setzen. Dabei verdienen die Hilfskräfte wahrlich keine Reichtümer. International ist die Beschäftigung von Studenten als Hilfkräfte das wichtigste Mittel, Studenten zu finanzieren. Wir können die Probleme nicht nur mit Geld lösen. Aber wir stellen gerade eine ganze Wissenschaftlergeneration vor die Tür.
In den vergangenen Wochen hat der FU-Forschungsverbund SED- Staat Sie und andere Zeithistoriker scharf angegriffen. Sie hätten vor dem Mauerfall Geschichtsschreibung im Sinne der SED betrieben. Wo liegen denn die Differenzen zwischen Ihnen und dem Forschungsverbund?
Um es ganz deutlich zu sagen: DDR-Forschung kann für mich gar nicht kritisch genug sein. Da liegt die Differenz also nicht. Der SED-Forschungsverbund jedoch wurde in einer spezifischen Situation gegründet und ist – für mich nicht ganz durchschaubar, aber immer wieder spürbar werdend – mit zentralen Entscheidungsinstitutionen dieser Universität verknüpft. Träger dieses Forschungsverbundes haben sich mit politischen Machtzentren verbunden. Da gibt es Verbindungen zur zentralen Ebene des Präsidialamtes, da gibt es Verbindungen, die vom Forschungsverbund unmittelbar zu politischen Institutionen in Bonn und Berlin laufen.
Und was werfen Sie dem Forschungsverbund vor?
Ich fühle mich an das Diktum Hegels erinnert, der einmal gesagt hat: „Die Politik des Verdachtes ist gewissermaßen das Vorspiel des Terrors.“ Der Forschungsverbund arbeitet sehr häufig mit Suggestionen, mit Andeutungen. In vielem – und das ist der Kern meines inneren Unbehagens – wird in der politischen Auseinandersetzung ein Politikstil reproduziert und kultiviert, der eigentlich auf die politischen Auseinandersetzungen der 70er Jahre zeigt. Ich habe den Verdacht, daß innerhalb des Forschungsverbundes Politik mit Geschichte gemacht werden soll. Es geht nicht mehr um die wahre DDR, sondern um die Ware DDR.
Ich habe persönlich sehr damit zu tun, daß manche führende Vertreter innerhalb dieses Forschungsverbundes zwar mit aller Macht kritisch – ohne großes Gespür für individuelle Verstrickungen – jeden gewissermaßen in die Schranken fordern, dem sie einen falschen Satz oder eine falsche Interpretation der DDR-Geschichte nachweisen können, sich selbst aber eigentlich überhaupt nicht kritisch nach ihrer hochschulpolitischen Vergangenheit befragen. Ich nehme jedem Mitglied eines maoistischen Studentenzirkels ab, daß er im Laufe seines Lebens lernfähig ist. Aber ich erwarte von diesem Mitglied dann auch dieselbe Selbstreflexion und dieselbe Selbstkritik, die man von jedem anderen erwartet, der gewissermaßen mal politisch danebengelangt hat. Und der Vorwurf, daß zum Beispiel am OSI Fremdsteuerungseingriffe von außen vorgenommen worden sind, diskreditiert einen ganzen Fachbereich und läßt übersehen, daß hier in den 50er, 60er und 70er Jahren viele Kollegen gearbeitet haben, die sich wirklich auf eindrucksvolle Weise wissenschaftlich mit den Diktaturen des Ostblocks auseinandergesetzt haben und in keiner Weise ein Kollektivverdikt rechtfertigen, wie es nun immer wieder von Mitarbeitern des Forschungsverbundes vorgetragen wird.
Sie beschreiben einen Stil und den Handel mit Wissenschaft. Sie beschreiben Machtpolitik. Machtpolitik wofür?
Ich habe das Gefühl, daß es dem Forschungsverbund nicht um die wesentlichen Fragen der Diktaturforschung geht. Sondern es geht schlicht um die Frage: „Wie hast du's mit der DDR gehalten?“ Diese Frage ist eine politische Frage, sie bestimmt Wahlkämpfe. Rote-Socken-Kampagnen sind da bestimmt ein besonderes Beispiel. Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als Hexenjägerei zu betreiben bedeutet, genau das zu machen, was McCarthy in den USA in den 50er Jahren versucht hat. Das werfe ich dem SED-Forschungsverbund vor. Es werden keine prinzipiellen Fragen nach den strukturellen Voraussetzungen und Folgeerscheinungen von Diktaturen gestellt, sondern man sucht Schuldige, man nennt Leute, man sucht nach irgendwelchen Einflußagenten, man diskreditiert, man stellt unter Verdacht. Hier wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte selbst zum Machtfaktor.
Und wem nützt das?
Ich glaube, daß diejenigen, die die Ergebnisse des Forschungsverbundes rechtfertigen und in einflußreichen Zeitungen sitzen, hinter denen angeblich ein kluger Kopf sitzen soll, daß die in der Tat manche Ergebnisse des Forschungsverbundes sehr gern für politische Zwecke nutzen. Mitarbeiter des Forschungsverbundes sind mit politischen Kontroversen um Johannes Rau, um Oskar Lafontaine, um Antje Vollmer verknüpft. Aber immer in dem Moment, in dem diese Auseinandersetzung aus politischen Gründen opportun war. Man sucht Stellen, versucht mit diesen Stellen anzuschwärzen. Man versucht dann jemanden etwas an die Backe zu hängen, damit vielleicht etwas hängenbleibt. Ich bin selbst mit berührt. Vor wenigen Wochen wurde im Zusammenhang des bevorstehenden 20. Juli der Eindruck erweckt, daß die Gedenkstätte Deutscher Widerstand politischen Einflüssen aus der DDR erlegen sei und sich den politischen Interessen dienstbar gemacht hätte. Hier wird ein Verdacht produziert, und dieser Verdacht soll hängenbleiben. Und daß man diesen Verdacht formulieren wird, kündigt man bereits Monate vorher an.
Wenn mein Kollege Jürgen Kocka mit DDR-Historikern gesprochen hat über die Debatte über die Errichtung des deutschen Historischen Museums und er dabei ein in der Bundesrepublik zigfach verbreitetes Konzept weitergibt, dann wird in der Deutung derjenigen, die Vergangenheitsbewältigung als Instrument der Verdächtigung betreiben wollen, der Eindruck erweckt, hier werde offiziell ein Konzept überreicht. Die kritische Auseinandersetzung nehmen sie gar nicht mehr in den Blick.
Dabei kommen manche der Mitarbeiter aus den Zusammenhängen, die sie selbst als problematisch verwerfen. Manche kommen aus Forschungsinstituten der ehemaligen DDR, andere haben ihre kommunistische, maoistische oder trotzkistische Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich begreife nicht, wie man zum Beispiel noch Mitte der 70er Jahre von der Kulturrevolution träumen konnte.
Ich begreife nicht, wie man Anfang der 80er Jahre jedem, der sich nicht bei jedem Gespräch mit osteuropäischen Partnern für oppositionelle Bewegungen einsetzte, das anlasten kann, wenn man gleichzeitig überhaupt nichts dabei finden kann, daß unser gegenwärtiger Kanzler nach China fährt, ohne dort die Verfolgung der chinesischen Opposition anzusprechen. Ich komme mit den moralischen Ansprüche der Gruppe nicht klar. Hier wird deutlich, daß die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine parteipolitische Funktion hat.
Der Forschungsverbund arbeitet mit der unmittelbaren Verknüpfung der DDR-Forschung mit der NS-Forschung. Wird dabei ersteres benutzt, um das zweite zu relativieren?
Richtig. Letztlich wird nur charakterisiert. Wenn wir uns auf ein Konzept einlassen, wie sich antizivilgesellschaftliche Bewegungen durchsetzen, dann vermeide ich die Gefahr der plakativen Gleichsetzung, die ja über beide nichts aussagt. Wir haben uns gegen den Totalitarismusbegriff gewehrt, weil die DDR nicht dazu diente, das Dritte Reich präziser zu sehen, sondern die DDR dazu benutzt wurde, das Dritte Reich zu verharmlosen. Das ist die eine Perspektive. Gleichermaßen wurde das Dritte Reich mit seinen einzigartigen Verbrechen dazu benutzt, die DDR mit Verbrechensdimensionen anzureichern, die nun bei aller Kritik diesen Staat nicht charakterisierten.
Auch wenn Sie den Stuttgarter Lehrstuhl bekommen sollten, bleiben Sie Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. In dieser Funktion wurden Sie – nicht nur vom Forschungsverbund – angegriffen, weil Sie in der Gedenkstätte auch den kommunistischen Widerstand dokumentieren. Hängt das mit der von Ihnen beschriebenen Relativierung zusammen? Stellen Sie Auswirkungen auf die Gedenkpolitik fest?
Wir stehen heute vor dem Problem, daß wir mit einer Vielzahl von Erinnerungsbezügen fertig werden müssen. Wir haben viel zuwenig daran gedacht, daß es vielleicht die Möglichkeit gibt, vielfältige Leidenserfahrungen zusammenzusehen. Das hat nichts mit Relativierung zu tun. Wir haben den Zugang zu den frühen Phasen der Verfolgung in der sich konsolidierenden DDR überhaupt nicht gesucht. Das macht übrigens auch der SED-Forschungsverbund nicht. Unsere Gedenkpolitik bedient auf Exklusivität angelegte Gedenkmuster.
Das ist eigentlich der Kern der Auseinandersetzung um den kommunistischen Widerstand in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gewesen. Denn derjenige, der respektieren würde, daß Menschen aus unterschiedlichen Optionen und Traditionen in den Widerstand geraten, wird überhaupt kein Problem dabei finden, auch zu respektieren, daß Kommunisten, Sozialdemokraten oder die Anarchosyndikalisten in den Blick des Erinnerns genommen werden. Meine große Sorge geht im Augenblick dahin, daß Gedenken wiederum in der Gefahr steht, eine Spielart von Klientelpolitik, diesmal mit geschichtspolitischen Mitteln, zu werden. In der Tat gibt es eine Gefahr, die Deutung der Vergangenheit klientel-politischen Aspekten zu unterwerfen. Dann geht man eben zu den Vertriebenen aus dieser oder aus jener Region und bedient dort die Vorurteile. Wohin das führt, haben wir in den furchtbaren Debatten um die deutsch-tschechische Erklärung mitbekommen. Wir machen dasselbe in der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte.
Wird Geschichte generell inzwischen anders thematisiert? Haben die revisionistischen Versuche in der politischen Debatte Erfolg?
Es gibt starke Tendenzen innerhalb der Geschichtswissenschaft, die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte als ein identifikationsstiftendes Moment zu betreiben. Man will sich wiederfinden, man will sich einrichten in der Vergangenheit. Damit wird verstellt, was wissenschaftliche Zeitgeschichte in den vergangenen 40, 50 Jahren deutlich zu machen nicht müde wurde: daß es sich in dieser Zeitgeschichte nun wirklich nicht wohlig einrichten läßt. Angesichts dessen stehe ich zum Beispiel fassungslos vor einer Wahlkampfparole für ein christliches Berlin- Brandenburg. Interview: Barbara Junge
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