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■ Zur EinkehrIm Café Blau

Zugegeben, ein lebensgroßer Eisbär im Vorgarten entspricht nicht unbedingt den Konventionen. Auch der über zwei Meter hohe Thron, zusammengeschweißt aus Stehleitern, ragt aus dem Rahmen üblicher Rabattenmentalitäten. Statt stumm nickender Stiefmütterchen grüßen Skulpturen aus dem Grün des Innenhofes.

Normal ist im Café Blau eigentlich nur eins: die Qualität des Angebotes. Das Mittagessen wird täglich frisch zubereitet, der Kuchen selbstgebacken. Ansonsten aber bietet das Café Besonderheiten in jeder Hinsicht: „Das Café Blau ist beliebter Treffpunkt für Normal-verrückt und Verrückt-normal“, heißt es im Flyer der Blaumeiers, die über dem Café ihre Ateliers haben. Dieses war lange Zeit nicht mehr als eine Rumpelkammer. Vor vier Jahren aber entschloß man sich, den Raum für das primäre Ziel aller Blaumeier-Aktivitäten nutzbar zu machen: das Zusammentreffen von Menschen, die sich sonst im täglichen Leben selten begegnen können, „Normierte und Verrückte“, Menschen mit und ohne Psychiatrieerfahrungen, Studentinnen, Arbeitslose und Berufstätige...

Gemeinsam wurde umgebaut, und es entstand ein schmuckes Café mit 42 Plätzen. Der Preis ist so verrückt, wie die Initiative selbst: ganze neun Mark kosten Vor-, Haupt- und Nachspeise, Abschlußkaffee inklusive. Wer nur einen Kaffee trinken möchte, zahlt eine Mark, Wasser und Bier gibt's fast zu Supermarktpreis.

„Das Kaffeehaus soll Ort für jedermann sein“, erklärt Geschäftsführerin Anne-Kathrin Pramann die außergewöhnliche Preisgestaltung. Da sich die Grenzen zwischen Arm und Reich jedoch aufgrund drastischer Einschnitte ins soziale Netz zunehmend vertieft haben, erfanden die Blaumeiers vor einem halben Jahr den „solidarischen Mittagstisch“: Arme Menschen zahlen lediglich vier Mark für das Menü, reiche mindestens neun.

Ein Konzept mit hohem sozialen und politischen Anspruch, zu hoch für viele seiner NutzerInnen. Mehr als erwartet beanspruchten den Preisnachlaß, und so ist das ohnehin knappe Budget des Projektes derzeit beinahe aufgebraucht. Doch unverdrossen setzt die Blaumeier-Aktivistin Pramann auf die Eigenverantwortung ihrer Gäste.

Die Zahl der Gäste ist kontinuierlich gestiegen. Nicht zuletzt wegen der spannenden Ausstellungen, Lesungen und Musikevents. Insofern hat man weit mehr erreicht als viele kostenaufwendige Projekte zur sozialen Integration, die am Grünen Tisch entstanden sind. dah

Café Blau, Travemünder Str. 7a, geöffnet mo-fr 13-20 Uhr. Tel. 3967198

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