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Vom Handwerker zum Präsidenten

Gesichter der Großstadt: Der Reinigungsunternehmer Werner Gegenbauer ist der neue Präsident der Industrie- und Handelskammer. Kompatibler Praktiker  ■ Von Hannes Koch

Auswandern wollte er nicht. Nur mal kurz gucken. Zwischen 1972 und 1974 arbeitete Werner Gegenbauer in der Schweiz und gründete dort zusammen mit seinem Kompagnon einen Betrieb für Gebäudereinigung: „Um nicht nur im heimischen Unternehmen zu versacken.“ Dann kam er zurück, legte die Meisterprüfung ab und übernahm die väterliche, bereits 72 Jahre alte Firma in Berlin.

Auswandern? Nein. „Auch nicht, wenn Rot-Grün 1999 in der Stadt an die Regierung käme“, meint der 47jährige gebürtige Berliner. Das gefiele ihm zwar überhaupt nicht, aber er sähe zu, das Beste draus zu machen. „Er ist nicht schwarz wie die Nacht“, sagt man bei der SPD über Werner Gegenbauer, der unlängst zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) gewählt wurde. Nun vertritt er die Interessen von immerhin 126.000 in der Stadt ansässigen Wirtschaftsunternehmen, die Zwangsmitglieder der IHK sind.

So betritt der neue Amtsinhaber nach dem zurückgetretenen Horst Kramp die Szene als ein weiterer allseits kompatibler Wirtschaftslobbyist. Auch Wolfgang Wieland, Fraktionschef der Bündnisgrünen, findet ihn nach einer gemeinsamen Tasse Kaffee „ganz vernünftig“. Während Kramp als Manager eines Großkonzerns agierte – er saß früher im Vorstand des Chemieriesen Schering –, kommt der Nachfolger als Mischung aus zupackendem Handwerker und aufstrebendem Mittelständler daher, obwohl er dieser Schicht mit mittlerweile 9.700 Beschäftigten längst entwachsen ist.

Damals in der Schweiz hatte er noch keine Angestellten. Persönlich putzte er Fenster und Fußböden. Heute muß er „Wischer und Schrubber“ nicht mehr schwingen, außer wenn seine Frau und die drei Töchter im Urlaub weilen. Als erfolgreicher Unternehmer legt Gegenbauer Wert auf Repräsentation. Obwohl die Verwaltung seiner Firmengruppe im brandenburgischen Birkenwerder sitzt, lädt er Gäste gern in das nobel-kärglich eingerichtete 200-Quadratmeter- Büro mit Blick auf Deutschen Dom und Schinkels Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Die Räume teilt er mit Roland Specker, der Christos Reichstagsverhüllung vermarktete.

Zum Unternehmersein gehört auch, wichtige Leute zu treffen. So schlägt Werner Gegenbauer, ein leicht überdurchschnittlicher Spieler, den Golfball im Club am Wannsee, dem traditionellen Treff der politischen und wirtschaftlichen Elite der Stadt. Bei manchen Aufträgen, die Gegenbauer in den vergangenen Jahren an Land zog, mögen derartige Beziehungen zumindest nicht hinderlich gewesen sein. Gegen die Vorbehalte der Bezirksverwaltung bekam die Gegenbauer-Tochter Custos 1995 den Zuschlag für die Parkraumbewirtschaftung in Spandau. Dem ehemaligen CDU-Landesgeschäftsführer Klaus Hermann Wienhold war 1994 vorgeworfen worden, seinem alten Arbeitgeber, der Firma Gegenbauer, im politischen Raum dabei geholfen zu haben. Zusammen mit dem Konzertveranstalter Schwenkow und dem Immobilienunternehmen Otremba schloß die Reinigungsfirma in diesem Jahr den Vertrag zur Betreuung der beiden Großsportstätten Max- Schmeling-Halle und Velodrom ab.

Der neue IHK-Präsident ist vor allem Praktiker. „Unsinn“ nennt er, daß ein angehender Gebäudereiniger bei der „Gesellenprüfung in der Lage sein soll, die Klinge zum Abziehen des Parketts per Hand zu schleifen. Dafür gibt es heute Maschinen.“ Die Ausbildungsordnung und alten Berufsbilder müsse man gründlich entrümpeln, damit Lehrlinge später flexibel einsetzbar seien und leichter einen Arbeitsplatz fänden. Mehr Lehrstellen zu schaffen, von denen dieses Jahr wieder Tausende fehlen, ist Gegenbauer ein zentrales Anliegen. „Appelle“ vom Präsidentenstuhl „nützen etwas“, ist er überzeugt – vor allem aber das gute Beispiel. Während sich die Zahl der Beschäftigten bei Gegenbauer seit 1989 verdoppelte, verdreifachte sich die Zahl der Lehrstellen von 45 auf 150.

„Mehr Druck auf den Senat, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren“, erwartet Hermann Borghorst als Wirtschaftssprecher der SPD-Fraktion und Chef der IG Chemie vom frischgebackenen IHK-Leiter. Politische Visionen und Entwürfe freilich sind nicht Werner Gegenbauers Sache. Über nebulöse Begriffe wie „notwendige Neukonzeptionierung aller Bereiche der Landespolitik“ kommt er derzeit nicht hinaus.

Bisher handelte Gegenbauer – zugleich Vorsitzender der Tarifkommission der Gebäudereiniger- Innung – meist im Einvernehmen mit der Gewerkschaft. Er hält den verbindlichen Tarifvertrag hoch – „wenn die Löhne nicht teurer sind, als der Markt erlaubt“. Bei ÖTV und IG BAU ist man des Lobes voll, weil Gegenbauer 90 Prozent seiner Untergebenen sozialversichert und die Wildwestmethoden mancher Dienstleister nicht mitmacht. Zumindest die Eintracht mit der ÖTV wird jedoch demnächst Belastungen ausgesetzt sein: Der IHK-Präsident meint, daß der Senat „um betriebsbedingte Kündigungen von Landesbeschäftigten nicht herumkommt“, um den öffentlichen Haushalt zu sanieren.

Die Industrie- und Handelskammer geht mit der Zeit. Während Horst Kramp noch die alte Großindustrie vertrat, hat man mit Werner Gegenbauer einen Vertreter der Dienstleistungsbranchen berufen, die in Zukunft den Aufschwung der krisengeschüttelten Metropole bewirken sollen. In seinem eigenen Betrieb hat die Transformation bislang funktioniert: Während man früher nur putzte, bietet die Firma heute bundesweit, außerdem in Polen und Frankreich, „Gebäudemanagement“ an: von der Wartung der Haustechnik über die Verpflegung in Krankenhäusern bis zum Sicherheitsdienst. Die Privatisierung öffentlicher Leistungen betrachtet Gegenbauer deshalb mit professionellem Wohlwollen.

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