■ Die SPD, die Bundespräsidentschaft und der Wahlkampf: Herzenskühl auf dem Weg zur Macht
Die SPD und die Grünen haben zusammen genug Stimmen, um den nächsten Bundespräsidenten bestimmen zu können – selbst ohne Voten aus der PDS. Doch anstatt für diesen Thronwechsel lautstark zu werben, betont Oskar Lafontaine, daß er dieses Thema nicht weiter erörtern wolle, solange die Frage nicht aktuell sei. Interessant an dieser Aussage ist weniger, daß der SPD-Chef die normalen Ansprüche seiner Partei formuliert. Sondern die kühle Art, wie er zugleich den Verdacht zerstreut, daß die SPD den über fast alle Parteigrenzen hinweg respektierten Bundespräsidenten Herzog für kritikwürdig, weil nicht sozialdemokratisch hält. Zwischen den Zeilen soll es heißen: Wenn er denn doch eine zweite Amtsperiode will, soll er wollen; ansonsten wäre es nur gerecht, wenn nach Gustav Heinemann wieder ein Sozialdemokrat zum Zuge käme. Eine geschickte, ja souveräne Rhetorik: Denn sie zielt mitten ins konservativ-liberale Gemüt jener Deutschen, die den Regierungswechsel nicht wollen, weil sie etwas ganz anderes als Kohl wollen, sondern weil der Kanzler und seine Politik das Gemeinwohl – Stichwort „Reformstau“ – aufs Spiel setzen.
Lafontaine gibt sich mit seiner Aussage zur kommenden Bundespräsidentenwahl wie ein Sieger, dem die Wähler nur noch den entsprechenden Auftrag erteilen müssen. Überhaupt scheint die SPD erstmals seit Anfang der achtziger Jahre gewillt, den konservativen Block abzulösen: Der Parteivorsitzende gibt sich moderat nach außen und sorgt innerhalb der SPD für Ruhe; der Kandidat in spe aus Hannover zeigt sich politisch wenig korrekt und wühlt mit seinen Law-and- order-Beiträgen ideologisch im Alltagsbewußtsein der CDU-Wählerschaft. Auch die Kader der zweiten Reihe agieren fast ohne Differenz zu den Parteigranden: Henning Voscherau profiliert sich erfolgreich als Buchhalteralternative zu Theo Waigel, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Höppner als Sachwalter des Ostens. In diesem Zusammenhang kommt Brandenburgs Deichgraf Matthias Platzeck als personal- und medienpolitischer Glücksfall hinzu.
Insgesamt steht die SPD immer stärker da wie eine politische Formation, die nicht in erster Linie an die Macht will, sondern das Land aus seiner Krise erlösen will – weil es die anderen nicht können. Lafontaines Erklärung zur Bundespräsidentschaft ist hierfür der letzte Beleg. Sie klingt wie eine Einlassung zur Rettung der Nation. Jan Feddersen
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