: „Ich häng' drin und lauf'“
Nur halb zufrieden mit seinem fünften WM-Platz über 5.000 Meter, will sich Dieter Baumann morgen in Zürich den Europarekord holen ■ Aus Athen Peter Unfried
Zu den wichtigen Konstanten des menschlichen Daseins gehört es, heute so reden zu müssen – und morgen anders. Das ist keine Unstetigkeit, das ist Leben in Bewegung.
Also sagte Dieter Baumann, kaum daß er als WM-Fünfter das Ziel des Athener 5.000-Meter- Laufes erreicht hatte: „Es ging hier nicht um die Zeit. Es ging darum, daß man sich vorne plaziert.“ Faktisch korrekt, nichts dagegen einzuwenden. Nun ja, dies vielleicht: Hatte nicht er seinen überraschenden Stimmungsumschwung von der lange vorbereiteten WM-Absage zum kurzfristig verkündeten Start damit begründet, in Athen in ein schnelleres Rennen einzusteigen als drei Tage später in Zürich? Das, sagte Baumann knapp, „war in dem Moment richtig, als ich das gesagt habe“. Mithin: Freitag vor elf Tagen. Und nun nicht mehr? „Mit dem Rennen hier“, sagte er, „hatte das nichts zu tun.“
Wer das nicht versteht, hat nicht aufgepaßt. Baumann (32), Olympiasieger von Barcelona, hat alles erklärt. Wie er trainiert hat, härter und intensiver als je zuvor. Wie er die Saison gewidmet hat dem Bestreben, persönliche Bestzeiten zu verbessern. Wie er das über 10.000, 3.000 und 1.500 Meter, nicht aber über 5.000 Meter geschafft hat. Wie Trainerin Isabelle Baumann dann plötzlich merkte, wie der Läufer bei der Vorbereitung auf Zürich in St. Moritz unruhig wurde. Und dann: „Der Bauch schrie: laufen!“ (Baumann), redete sich und anderen plötzlich ein, der Weltjahresbeste Daniel Komen werde in Athen die 100.000 Dollar Weltrekordprämie anpeilen. „Der Dieter läuft nicht mehr um Medaillen“, hatte die Trainerin fest behauptet, er gebe sich „bloß ein weiteres gutes Rennen“, um jene 5.000-Meter-Zeit unter 13 Minuten zu laufen, die der Hauptgrund ist, warum er sich im zwölften Athletenjahr motivieren kann wie nie zuvor.
Der Zug fuhr dann doch ohne Dieter Baumann
Dann war alles anders – und wie erwartet: Es wurde taktiert. Baumann übernahm in der warmen Athener Sonntagnacht vom ersten Schritt an die Führung, verlor sie nach 1.500 Metern, holte sie sich nach 2.000 Metern noch einmal zurück. Er wollte „den Zug nach vorn nicht verpassen“. Der fuhr dann doch ohne ihn. Drei Kenianer, alle aus Moses Kiptanuis Trainingsgruppe, hatten ausgeheckt, daß Tom Nyariki, der beste Pacemaker der Welt, bei allzu gemächlichem Tempo nach sechs Runden mit einer 61er Runde das Feld für Komen und Bitok sprengen sollte. Oder hatten sie nicht? „Die Kenianer hecken nichts aus“, sagte Baumann kopfschüttelnd, „die erzählen Geschichten aus dem Busch.“
So oder so: Bitok konnte nicht, aber Komen (21) sprintete die Strecke zwischen 2.800 und 3.800 Metern in 2:28 Minuten. Da kann Baumann trainieren, wie er will, das schafft er nicht. Aber Silber? Komen war auf und davon, doch als der Marokkaner Boulami nachsetzte, hatte der Deutsche eine Schwächephase. „Scheiße“, dachte er, „ich komm' nicht mit.“ Drei Runden vor dem Ende war das Problem überwunden. Baumann zog an und wurde hinter Nyariki und dem Marokkaner Shgyr Fünfter.
Nun haben die Athletinnen und Athleten des DLV in Athen fünfmal Gold, einmal Silber und viermal Bronze gewonnen, Baumann aber nach Göteborg (9.) und Atlanta (4.) wieder nichts. Dennoch kann man ohne Übertreibung sagen, daß er national gesehen das größte Interesse abgekriegt hat. Das liegt daran, daß er nicht immer noch, sondern jedesmal wieder die größten Emotionen weckt. Manche freilich haben den Kerl von der Schwäbischen Alb samt Frau satt und höhnen, Baumann sei eiskalt, ökonomisch berechnend und spiele sich immer wieder auf. Andere erkennen an, daß er bloß professionell ist wie wenige andere, insbesondere auch nach Rennen, in denen er sein Ziel („Natürlich wollte ich eine Medaille.“) nicht realisiert hat.
Und morgen in Zürich das Rennen des Jahres
Gestern morgen, 8 Uhr, stand der Athlet in der Lobby seines Athener Hotels Rede und Antwort, bevor es nach Zürich weiterging. Komen, der 5.000-Meter-Weltmeister, gegen Gebresilasie, den 10.000-Meter-Weltmeister, heißt dort morgen das Rennen des, nun ja, Jahres. Der Äthiopier hat sich eine Woche erholt, der Kenianer bloß zwei Tage, das Rennen, sagt Baumann „ist für Gebresilasie gemacht“. Nicht gesagt, wendet Komen ein. „Zwei Tage reichen mir.“ Vor einem Jahr hat der damals neue Mann den großen, aber von Atlanta kaputten Gebresilasie geschlagen und ihm fast seinen Weltrekord (12:44,39 Minuten) genommen. Diesmal? Komen sagt, er müsse sich „erst mal hinsetzen und einen Plan ausdenken“.
Viel Spielraum ist nicht. Der Fahrplan ist im Gegensatz zur WM festgelegt – auf Weltrekord. „Das wird ein einfaches Rennen“, sagt Baumann. „Ich häng' da irgendwo drin und lauf'.“ Vielleicht liegen ja alle falsch, und er war in Athen, um sich warmzulaufen? Vor zwei Jahren kam er schließlich völlig fertig aus Göteborg, hing in Zürich drin und lief 13:01,72 Minuten. Andererseits kann es sein, daß er sich nicht erholt und den Europarekord „vielleicht nie“ schafft. Das sei im Sport so, sagt der Athlet, auf die Frage, ob es nun falsch war, nach Athen zu gehen: „Wenn man losgegangen ist, kann man meistens nicht mehr zurück.“ Man könne, sagt Baumann, „nie zwei Wege gehen“. Gleichzeitig vielleicht nicht, nacheinander schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen