: Entdeckungen in einer unbekannten Stadt
■ Der Fotograf Patrick Faigenbaum arbeitet an seinem Bremen-Portrait / Der Documentateilnehmer kommt '98 in die Weserburg
Es ist eine Frage, die ihm alle Türen öffnet: „Can I do a portrait?“– „Kann ich ein Bild machen?“, tritt Patrick Faigenbaum mit seiner Rollfilmkamera auf die Menschen zu, und kaum einer schlägt ihm diese Bitte aus. Es mag an seinem aus Höflichkeit und Fordern gemischten Blick liegen oder an seinem Lächeln, das er breit zwischen seine Koteletten schiebt – doch egal, welchen Trick er anwendet: Der türkische Jugendliche in der Bremer Obernstraße, die zwilichtigen Trunkenbolde am Kiosk in Lemwerder oder der gesammelte Bremer Senat beantworten Patrick Faigenbaums Frage mit „yes“. So fügt der 1954 in Paris geborene Weserburg-Stipendiat Portrait an Portrait und Foto an Foto zu einem Bremen-Bild, das es so noch nicht gegeben hat.
Im November 1996 bezog Patrick Faigenbaum auf Einladung des Sammlermuseums das geräumige KünstlerInnenatelier unterm Dach des Neuen Museums Weserburg. Der Aufenthalt war zunächst auf drei Monate befristet. Doch dann folgten mehrere Verlängerungen, so daß er von Unterbrechungen abgesehen inzwischen seit acht Monaten am Bild der Hansestadt arbeitet.
Mit Erfolg: Denn die Documenta-Leiterin Catherine David sah seine ersten, im Winter entstandenen und im Frühjahr aufwendig bearbeiteten Fotos und machte Patrick Faigenbaum zum einzigen „Bremer“Teilnehmer des 100tägigen Kunstrummels in Kassel.
Was interessiert ihn an Bremen? „Die Stadt ist nicht so bekannt wie Berlin oder Hamburg, sie ist noch nicht entdeckt“, antwortet Faigenbaum – auf Englisch. Deutsch spricht er nicht, auch einen Führerschein hat er nicht, doch trotz dieses doppelten Handicaps gibt es zwischen dem U-Boot-Bunker „Valentin“im Nordwesten der Stadt und den Hochhäusern Tenevers im Südosten kaum einen Ort in Bremen, an dem er nicht seine Frage stellte – „can I do a portrait?“
„In Paris hätte ich Hemmungen“, gesteht er ein, doch die Fremdsprache macht es ihm leichter. So wie in Rom, wo er Adelsfamilien in ihren Palazzi portraitiert hat. Dabei sind Fotos einer Bildkraft entstanden, die irgendwo zwischen italienischem Neorealismo und Goyas Portrait der Königsfamilie Karls IV. liegt. Bei einem längeren Prag-Aufenthalt suchte er die Menschen auch außerhalb ihrer Häuser auf, doch in Bremen machte er sich erstmals an das Projekt, das Portrait einer ganzen Stadt zu schaffen.
Bei der Suche nach den interessanten Orten heuerte sich Faigenbaum auf geschickte Weise seine „Fremdenführer“an: BremerInnen wie der ehemalige Gewoba-Chef und Baustaatsrat Eberhard Kulemkampff oder die taz-Fotografin Katja Heddinga zeigten ihm ihre Orte, und ein jeder seiner „Guides“trug mit eigener Handschrift zum Gerüst für Faigenbaums Stadtbild bei.
Die augenscheinlich pittoresken Orte interessieren Faigenbaum nicht. Doch auch spektakuläre Szenerien wie die Serie von Bildern, die am kaum bekannten U-Boot-Bunker am Kap-Horn-Hafen entstanden sind, hat er später aussortiert. Das Drama lebt in der Alltagspose, das Interessante verbirgt sich im Banalen – inhaltlich wie technisch, denn es waren die bunten Container im Neustädter Hafen, die ihn eines nebeligen Morgens im November dazu inspiriert haben, in Bremen erstmals Farbfotos zu machen.
Seine Motive findet er in den Schachtelbauten der Nachkriegszeit oder in den Reihenhäusern im Bremer Westen, deren Fassaden vom Modernisierungswetteifer ihrer Besitzer verhübschhäßlicht sind. Er findet sie im Bodyguard beim Catch-Turnier oder im Bremer Rathaus, wo er als stummer, nur mit seinen Rollfilmen und Kameras hörbar hantierender Beoabachter einer Senatssitzung beiwohnte. Stilistisch nimmt er Anleihen aus der Sozialreportage, aus der Dokumentation oder bei den Fotografen-KollegInnen, die das Private öffentlich machen, doch spätestens im Labor werden die Fotos zu echten „Faigenbaums“: Bis zu drei Wochen nimmt er sich Zeit dafür, Mittelwerte abzudunkeln, andere Stellen aufzuhellen oder Flächen zu betonen, so daß die Malerei in der malereifreien Documenta in diesem Sinne doch noch vertreten ist.
Seine Fotos gehen inzwischen in die Hunderte, viele von ihnen hat Patrick Faigenbaum noch nicht gesichtet. Und doch sagte er einmal, „sein Portrait“noch nicht gefunden zu haben. Es bleibt ihm nur noch wenig Zeit dafür, denn am 15. August räumt er die Atelierwohnung in der Weserburg. Dann zieht er in einer seiner Dunkelkammern in Paris oder Rom, wo seine Freundin lebt, den Vorhang zu – und ganz sicher wird er dort sein Bild machen können. Christoph Köster
Patrick Faigenbaum ist mit rund einem Dutzend Arbeiten aus Bremen auf der zehnten Documenta vertreten – bis 28. September in Kassel; das Neue Museum Weserburg zeigt im Herbst 1998 eine um Arbeiten aus Prag, Rom und Neapel ergänzte Ausstellung der Bremen-Bilder
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