Volker hört die Signale

■ Helge Schneider nahm lieber ein Bad, doch der ehemalige St.-Pauli-Keeper Volker Ippig und andere Größen kickten mit beim Match Dynamo Windrad gegen documenta X

Kassel (taz) – „Alles dreht sich um die Globalisierung: Der Ball ist rund.“ Das Motto des Stadionsprechers paßte zum zentrifugalen Konzept der Jubiläums-documenta X, daß Kunst heutzutage mehr als nur Bilder bedeute.

Dynamo Windrad Kassel, Kreisliga A, hatte die documenta X anläßlich der Ausstellungshalbzeit zum Kicken geladen – und einige Prominente dazu. Dynamo Windrad, das ist die rührigste alternative Fußballmannschaft Deutschlands – allein zehn Jahre mußten die Fußballenthusiasten kämpfen, bis ihr Name anerkannt wurde, erinnerte er den Hessischen Fußballverband doch zu sehr an die „Gepflogenheiten der Vereine der DDR und der Ostblockstaaten“.

Helge Schneider hatte trotzdem keine Lust, aus dem Kulturzelt von der anderen Straßenseite zum Anstoß zu kommen – er könne Fußball nicht leiden und ziehe ein heißes Bad vor, teilte er mit. Die documenta-Chefin Catherine David ließ es sich jedoch nicht nehmen, das Spiel vor ein paar hundert Zuschauern in der Hessenkampfbahn anzukicken. Dabei soll Frau David wegen einiger abfälliger Äußerungen über die Stadt von den Kasselern nicht gerade geliebt werden. „Diese Stadt hat keine Eigenart und intellektuelle Tradition“, hatte Frau David geurteilt, besonders geschockt hatten sie die mit Socken vollgestopften Vitrinen in einer Straßenunterführung beim Bahnhof: „Das ist glatter Irrsinn.“

Außer Volker „hört die Signale“ Ippig, früher Nicaragua, Hafenstraße und St.-Pauli-Keeper (heute wieder in seinem Heimatdorf Lensahn, wo er eine Ausbildung zum Heilpraktiker macht), war allerdings nur die zweite Garde der angekündigten Promis gekommen: Jimmy Hartwig, Ex- HSVler, jetzt DSF, wurde von seinem neuen Arbeitgeber nicht freigestellt, weil er nächste Woche schon für einige wichtige Aufnahmen bei „Verbotene Liebe“ (!) entbehrt werden muß. Joschka Fischer weilte lieber in der Toskana, um sich von seinem Untergewicht zu erholen. Als Ersatzmann der Bündnisgrünen kam Matthias Berninger – der jüngste Bundestagsabgeordnete aller Zeiten. Das war wohl auch besser so, denn nach seiner Entschlackungskur soll der ehrgeizige Fischer am liebsten 180 Minuten Fußball spielen, kolportierte Youngster Berninger – und das hätte kaum einer der Hobbykicker ausgehalten. Auch Jürgen Roth nicht, einer der Autoren von „So werde ich Heribert Faßbender“, der so blaß war, wie es sich für einen Schriftsteller gehört. Ihm stecke noch die Recherche für „Das große Bierlexikon“ in den Knochen, erklärte er.

Daß die Promis fehlten, war aber nicht weiter schlimm, denn Dynamo Windrad hatte selbst einiges zu bieten: Zum Beispiel Achim „Jesse“ Franz und Martin „Maradona“ Mertens, zwei Altinternationale aus der ersten Generation Dynamos mit Einsätzen in Jaroslawl, Havanna und Peking, oder Karsten „Pauli“ Schulz, den Gewinner des letztjährigen Elvis-Imitations-Wettbewerbs, dessen gekonnte Hüftschwünge für einigen Applaus sorgten – aber leider nur für wenig Raumgewinn.

Der Großteil des documenta- Teams stammte indes aus dem unerschöplichen Fundus zwischen Führungspersonal, Kasse, Pressebüro und Organisation – ausnahmsweise mal nicht in Grau-Metallic, sondern in schwarzen Trikots mit weißem Ozon-Schriftzug. Verstärkt wurde die documenta durch Holger Brück und Gerd Grau, einst als Bundesliga-Duo bei Hertha BSC (Saison 74/75: 2. Platz!). Die beiden, die nach Berliner Halbwelt aussehen, aber alteingesessene Kasseler sind, versuchten Dynamo per Kurzpaßspiel auszutricksen, scheiterten aber immer wieder am Pressing – und an zwei Frauen. Doreen Meier, Ex- DDR-Nationalspielerin, und Vizeweltmeisterin Birgit Austermühl, früher FSV Frankfurt, zogen leichtfüßig an Alt- und Jungmännern vorbei. Und natürlich stand der Hüne Volker Ippig stoisch und unüberwindbar zwischen den Pfosten des Dynamo-Tores.

Schnell stand es 3:0 für Dynamo (zweimal Doreen Meier), wobei zwei Treffer auf die Kappe des documenta-Torhüters Bernhard Leifeld, Geschäftsführer der dX, gingen. Er ließ sich in der zweiten Halbzeit auswechseln. Walter Eschweiler, der König Silberlocke der Schiedsrichter (83 Länderspiele), hatte keine Mühe, das – recht zerfahrene – Gekicke zu leiten und, ganz jovial, immer einen Scherz auf den Lippen. „Alles Altersschwäche – ein eleganter Spieler zieht einfach vorbei“, ließ er einen vermeintlich Gefoulten wissen. In der Schlußminute gelang der documenta X per Elfmeter schließlich doch noch der verdiente Ehrentreffer.

Nach dem Spiel wurden die wunderbar knallgelben Dynamo- Trikots verteilt, und sogar Volker Ippig war erstaunt: „Bei Promi- Spielen kriegt man sonst meistens gar nichts.“ Die Verlierer bekamen ein ganz besonderes Geschenk: weiße Tennissocken, auf die das orangene X der documenta aufgedruckt war. Ole Schulz

Der Autor ist Stammspieler des taz- Teams und stürmte als Gast bei Dynamo Windrad