Gute Chancen für Albrights Nahost-Reise

■ USA favorisieren vorgezogene Gespräche über eine endgültige Lösung

Jerusalem (taz) – Noch sind sowohl Israelis als auch Palästinenser zurückhaltend in der Bewertung der derzeitigen Vermittlungsmission des US-Diplomaten Dennis Ross. Einerseits hat Ross die israelische Forderung nach Wiederaufnahme der Sicherheitskooperation und einer stärkeren Bekämpfung des Terrors durchgesetzt. Andererseits hat er gestern die palästinensische Forderung nach Aufhebung der Abriegelung der besetzten und autonomen Gebiete der israelischen Regierung vorgetragen. Die Aussichten für den Ende des Monats geplanten Besuch von US- Außenministerin Madeleine Albright stehen deshalb nicht schlecht.

Israelis wie Palästinenser haben ein Interesse daran, daß die USA mit am Verhandlungstisch sitzen, allerdings aus ganz unterschiedlichen Motiven. Während die Palästinenser die rasche Umsetzung ausstehender Vereinbarungen erwarten, hofft die israelische Regierung, direkt in die Verhandlungen über den endgültigen Status der palästinensischen Gebiete eintreten zu können. In der Tat könnte beides geschehen. In ihrer ersten Rede zum Friedensprozeß hat Albright in der vergangenen Woche in Washington unmißverständlich deutlich gemacht, daß die USA nach einer halbjährlichen Abstinenz eine aktivere Rolle im stagnierenden Friedensprozeß spielen wollen.

Nachdem die Verhandlungen wegen des Siedlungsbaus auf dem Jebel Abu Gheneim (Har Homa) im März von palästinensischer Seite unterbrochen worden waren, hatte die israelische Regierung erstmals im Juni den Vorschlag ins Gespräch gebracht, sofort mit den Verhandlungen über eine endgültige Lösung zu beginnen. Und sie lancierte auch gleich einen Plan, laut dem den Palästinensern 40 bis 50 Prozent der Westbank übergeben werden sollten. Die Siedlungen und das Jordantal würden aus Sicherheitsgründen Israel einverleibt. Netanjahu selbst sprach von einem „palästinensischen Gebilde“. Einen palästinensischen Staat lehnte er wegen der damit verbundenen Hoheitsfunktionen ab.

Die Überlegung, die von den USA aufgegriffen wurde, lautete, das große Ziel vor Augen würde kleinliche Streitigkeiten überflüssig machen. Auch könnten so die langwierigen Verhandlungen über einen Flug- und Seehafen in Gaza sowie über die Verbindungsstraße zwischen dem Gaza-Streifen und der Westbank schneller gelöst werden. Der Weg von Oslo, zuerst vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen und dann Schritt für Schritt voranzugehen, so das Resümee der US-Regierung, hat sich nach vier Jahren als gescheitert erwiesen.

Palästinensische Politiker lehnen sofortige Verhandlungen über eine endgültige Lösung nicht grundsätzlich ab. Ihre Skepsis beruht eher darauf, daß sie – angesichts der israelischen Pläne – nicht ganz zu Unrecht fürchten, weitaus weniger zu erhalten als den von ihnen anvisierten Staat.

Ob die Verhandlungen wirklich einfacher werden, wenn es um die Frage der Grenzen, Art und Umfang der palästinensischen Selbstbestimmung, die Zukunft der Siedlungen und nicht zuletzt um Jerusalem geht, ist keineswegs ausgemacht. Albright hat nämlich auch klargestellt, daß sie den verhandelnden Parteien die Entscheidungen nicht abnehmen werde.

Nach Ansicht des Norwegers Terje Ole Larsen, einem der Architekten des Oslo-Prozesses, ist der vorzeitige Eintritt in die Abschlußverhandlungen durchaus mit dem Oslo-Abkommen vereinbar. In einem Rundfunkinterview sagte er, es müsse allerdings gleichzeitig über die Interimsvereinbarungen weiterverhandelt werden. Die Idee der schnellen Trennung von Palästinensern und Israelis gewinnt gerade nach dem Bombenattentat in Israel wieder Befürworter. Für vorgezogene Abschlußverhandlungen müßte die US-Diplomatie in den Augen der Palästinenser allerdings zuerst ihre proisraelische Schlagseite verlieren. Ein Prüfstein wird sein, ob die USA Israel zur Aufhebung oder zumindest Lockerung der Abriegelung bewegen können. Georg Baltissen