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Sanierung per Drucksache

Wie das Umweltministerium heimlich Grenzwerte anhebt: Das Beispiel Osnabrück zeigt, wie aus Altlasten im Boden doch noch harmloses Land wird  ■ Von Detlef Stoller

Der Osnabrücker Stadtteil Wüste ist Deutschlands größte bewohnte Altlast: Gut 18.000 Menschen wohnen hier auf 2,2 Quadratkilometer Mülldeponie. Das ehemalige Feuchtmoor gleich hinter den alten Stadtmauern kippten Verwaltung und Gewerbe bis in die 60er Jahre mit Müll zu. Erst Ende 1993 entdeckten Bauprüfer Aschen und Schlacken. Als dann Altlastexperten bemerkten, wie riesig die Fläche war, erinnert sich Detlef Gerdts vom Umweltamt, „ist uns ziemlich anders geworden“.

Bislang gibt es keine einheitlich gültigen Grenzwerte für Bodenbelastung in Deutschland. Jede Gemeinde hilft sich mit eigenen Untersuchungen oder Grenzwerten aus dem Ausland. Auch das Bielefelder Institut für Umwelt-Analyse (IFUA), seit drei Jahren als Gutachter in der Wüste tätig, mußte speziell für den Stadtteil eine Liste für tolerable Bodenbelastungen erarbeiten. Das Problem: Bislang gab es keine Untersuchungen, die alle Nutzungen in einer Siedlung über einer Altlast berücksichtigte wie Wohnen, spielende Kinder und Nahrungsanbau. Die Gutachter erhielten so deutlich niedrigere Grenzwerte.

Doch das Bonner Umweltministerium (BMU) geht längst in die entgegengesetzte Richtung. Im Rahmen der Verabschiedung des Bundes-Bodenschutzgesetzes war auch eine bundeseinheitliche Grenzwertliste fällig. Umweltministerin Angela Merkel (CDU) nutzte die Gelegenheit und kippte dabei den bislang üblichen Grundsatz der Vorsorge, wie er auch beim Luft- und Wasserschutz bereits bundesweit gilt, und erhöhte die erlaubten Grenzwerte drastisch. So schaffte das BMU leise Fakten: Im Entwurf der Vollzugsverordnung zu diesem Gesetz werden nun bundeseinheitlich gültige Werte für tolerable Bodenbelastungen festgelegt, die bindend sind – auch für Wüste.

Fünffacher Grenzwert für Krebserreger

Bei allen krebserregenden Stoffen beispielsweise vergrößerte das BMU das bisher gesellschaftlich akzeptierte Zusatzrisiko von einem Krebstoten je 100.000 Einwohner auf fünf Krebstote. Eine Debatte über diesen Schritt spart sich Merkel. Zum Vergleich: In den USA gilt als akzeptiertes Zusatzrisiko ein Krebstoter auf eine Millionen Menschen.

Um die höheren Grenzwerte zu begründen, führten die Umweltmediziner des BMU sogenannte Gefahrenfaktoren ein. Statt Vorsorge zu leisten, soll künftig nur noch eingegriffen werden, wenn unmittelbare Gefahr besteht (siehe Kasten). Das Ziel der Grenzwert-Mathematik erläutert Bernd Delmhorst vom BMU: „Der durchgängige Gefahrenbezug bei der Ableitung von Prüfwerten führt ganz überwiegend zu höheren Werten als sie bislang erörtert wurden. Damit geraten erheblich weniger Grundstücke in Gefahrenverdacht.“ Weniger Gefahrenverdacht bedeutet weniger Sanierung, weniger Kosten und weniger Investitionshemmnis für die Wirtschaft.

Nur der Bundesrat kann die Verordnung im Vermittlungsausschuß noch kippen. Dort ringt er derzeit mit dem Bundestag um das Bundesbodenschutzgesetz, dem die Verordnung angehängt ist. Doch dort liegt das Augenmerk auf dem Gesetzestext. Der Bundesrat ist vor allem an der Regelung der finanziellen Folgen des Bodenschutzgesetzes für die Länder interessiert – der Trick von Merkel kommt da nicht ungelegen.

Um sein Ziel zu erreichen, vernachlässigte das BMU auch, daß in Gärten von Wohnsiedlungen wie in Wüste gespielt und Gemüse angebaut wird. Die Folge: Während nach den IFUA-Werten etwa für Polyaromatische Kohlenwasserstoffe die Grenzwerte auf der Hälfte der Fläche überschritten sind, muß laut BMU nur ein Zehntel saniert werden.

Das BMU kratzt das IFUA- Gutachten nicht: „Spezielle Regelungen für Haus- und Kleingärten sind nicht beabsichtigt“, sagt Delmhorst. Ausgeblendet wird so, daß manche Schadstoffe wie beispielsweise Kadmium besonders gut vom Boden in die Pflanzen wandern und dadurch zum Menschen, der diese Pflanzen ißt.

Die Abkehr von der Vorsorge ist eine rein politische Entscheidung. Das BMU verweist zwar darauf, daß es die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf das Bodenrecht und auf das Recht der Wirtschaft im Grundgesetz stützt. Deshalb kann „das Bodenschutzgesetz nur Anwendung finden bei schädlichen Bodenveränderungen, die auf einer wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen“, behauptet Delmhorst, „oder bei Altlasten“. Seine Folgerung: „Für den Bodenschutz verlangt diese Verfassungslage möglicherweise Verzichte.“ Der Vorsitzende Richter am Berliner Bundes-Verwaltungsgericht, Günter Gaentzsch, Sachverständiger für das Bodenschutzgesetz, widerspricht: „Auch Regelungen, die den Boden vor menschlichen Nutzungen schützen, gehören zum Bodenrecht. Eine stärkere Orientierung am Schutz auch der natürlichen Bodenfunktionen würde dem Auftrag noch besser gerecht.“

So ähnlich sah das vor einem Dutzend Jahren auch noch die Bundesregierung. In der damals vorgelegten Bodenschutzkonzeption, der Mutter des Bodenschutzgesetzes, forderte sie: „Der Bodenschutz hat nachdrücklich dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen, zumal aus der extremen Beanspruchung der in Deutschland verfügbaren Ressourcen gefolgert werden muß, daß Staat, Wirtschaft und Verbraucher hier künftig konsequenter handeln müssen.“ Das ist lange her.

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