„Blairs Lockerheit traue ich keinem deutschen Politiker zu“

■ Dieter Gorny, 1989 Initiator der Popkomm und heute beim Musiksender Viva, über Politiker und Kreativität

taz: In diesem Jahr entert Politik erstmals die Popkomm, von Westerwelle bis Wulff. Was haben sie plötzlich alle?

Gorny: Eine Industrie, die in hohem Maße mitverantwortlich ist für die emotionale Versorgung des größten Teils der Bevölkerung mit Kultur, die damit auch noch große Umsätze macht, muß eigentlich etwas sein, das Politik interessiert. Nur war das bislang nie so der Fall in Deutschland.

Sind deutsche Politiker unlocker, haben sie Berührungsängste?

Es klafft hierzulande einfach eine Lücke zwischen Kreativen und denen, die die Rahmenbedingungen schaffen. Politik tut sich schwer mit einem Kontext, den sie für schillernd hält. Wir haben in Deutschland nicht die Tradition wie etwa in England, wo die Britpop-Bewegung nahezu nationales Anliegen ist. Wo so ein Blair, als Signum politischer Umwälzung, völlig selbstverständlich mit diesen Bestandteilen umgeht, indem er eben Herrn Gallagher [Sänger der Rockband Oasis; d. Red] zu sich nach Downing Street einlädt.

Da hat aber auch ein Umdenken stattgefunden. John Lennon sang noch von „pig-headed politicians“.

Brutal gesagt: John Lennon ist ja auch schon lange tot. Wir dürfen nicht eine Zeit, in der das Establishment und die aufkommende Jugendkultur qua Definition kontrovers zueinander standen, mit einer Realität vergleichen, in der Politiker und Kreative aus einer Generation kommen. Politik muß sich heute klarmachen, daß sich der gesellschaftliche Status quo in hohem Maße sowohl künstlerisch darstellt als auch, im weitesten Sinne, ökonomisch. Man muß das Thema mal auf die wirtschaftlichen Eckdaten runterziehen.

Versprechen sich Politiker von der Popkomm nicht auch eine Imageaufbesserung?

Das kann nur klappen, wenn Person A, Politiker, und B, Künstler, in irgendeiner Weise zueinanderfinden. Unbedingt vermieden sollte es werden, sich zugunsten schaler Zielgruppenausrichtung in Bereichen zu verbrüdern, wo die kulturelle Kluft äußerlich wie innerlich unüberbrückbar ist. Wenn das künstlich wird, ist das für beide Seiten selbstmörderisch und rufschädigend.

Wenn etwa Lafontaine auf SPD-Jugendparteitagen abrockt?

Halt ich für tödlich.

Schröder ist aber schon popkompatibler.

Sagen wir so: Ich glaub', daß der Gerd Schröder einen im positiven Sinne natürlichen Umgang mit diesen wirtschaftlich und entertainmentorientierten Phänomenen hat.

Da stimmt dann der Blair-Vergleich.

Der Vorteil einer Figur wie Blair ist nicht, daß er mal Gitarre gespielt hat, sondern daß er vom ganzen Typus her so locker ist, daß er Oasis und Vivienne Westwood als Bestandteil der heutigen Kultur ansieht. Das traue ich, offen gestanden, keinem deutschen Politiker zu.

Trotzdem wird Viva sich im Jahr 98 für einen Kandidaten entscheiden.

Qua Recht darf das nicht so sein, das wissen Sie auch. Wir haben Auflagen. Auch werden wir den Teufel tun und uns vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen. Aber wir werden auch nicht sagen können, wir tun nix. Heute hat man begriffen, wie stark die kommunikative Kraft des Senders und auch die Glaubwürdigkeit in die Jugend rein ist. Ich halte Viva für hoch politisch, wenn es darum geht, Politik und Jugend über eine gezielte Moderation so zueinanderzubringen, daß Jugend die Chance hat zu erkennen, wo Politik lügt oder die Wahrheit sagt. Das haben auch die Politiker inzwischen gemerkt. 1998 haben wir sie alle am Bein.