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Kein Diktat von Volksvertretern

■ Erstmals hat ein Gericht die Rechtschreibreform in zweiter Instanz bestätigt. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig: Ein Gesetz ist der falsche Weg, sprachliche Normen sollten nicht von Parlamentsmehrheiten abhängen

Berlin (taz) – Die Rechtschreibreform wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschäftigen. Die Eltern, deren Klage gegen die Reform gestern das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig zurückgewiesen hat, haben eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. „Das Bundesverfassungsgericht wird sich um eine rasche Entscheidung bemühen“, sagte dessen Sprecherin Uta Fölster.

Als bisher höchstes Gericht hat am Mittwoch das OVG Schleswig die Umsetzung der Rechtschreibreform für Rechtens erklärt. Es bestätigte in zweiter Instanz ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 17. März 1997. Damit haben die juristischen Auseinandersetzungen um die Rechtschreibreform eine neue Qualität bekommen. Bei allen bisherigen sechs Urteilen hatte es sich lediglich um Verwaltungsgerichtsurteile gehandelt. Der Erlaß der Kultusminister, hatte es im Schleswiger Urteil in erster Instanz geheißen, berühre die Rechte der Eltern nicht. Diesen Aspekt hat das OVG Schleswig in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich bekräftigt. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, daß die Rechtschreibung im deutschen Sprachraum nicht auf Rechtsnormen, sondern auf sprachlichen und damit außerrechtlichen Regeln beruhe. Sprache ist demzufolge eine Art Naturgegebenheit jenseits des Rechts. Im Juristendeutsch: „Sprachliche Normen hängen im deutschen Sprachraum nicht vom Willen – unter Umständen kurzfristig wechselnder – Mehrheiten im Parlament ab, sondern – langfristig – von allgemeiner Akzeptanz.“

Das Gericht wies den von Reformgegnern hervorgehobenen Vorwurf zurück, der Rechtschreibreform mangele es an einer rechtlichen Grundlage. Sprache hat überhaupt nichts mit Justitia zu tun, so implizieren nun die Richter. Ausdrücklich heißt es im Urteil der Schleswiger Richter: „Ein Gesetz aller Bundesländer und/oder des Bundes bedarf es dazu von bundesdeutscher Seite (...) nicht.“

Für weiteren Zündstoff wird in der Diskussion der schwer meßbare Begriff einer „allgemeinen Akzeptanz“ sorgen. Für das OVG Schleswig ist die gesellschaftliche Akzeptanz der Reform durch die jahrelange wissenschaftliche Diskussion durch öffentliche Anhörungen eindeutig erwiesen. Die „Vertretbarkeit einer positiven Akzeptanzprognose“, so der Richtermund, werde durch die nun aufkommenden Zweifel von Volksinitiativen, Schriftstellern und Bundestagsabgeordneten nicht erschüttert. Da das OVG-Urteil nicht anfechtbar ist, hoffen die Lübecker Kläger jetzt auf die höchsten Richter in Karlsruhe. Die könnten durch den Entscheid über eine Verfassungsbeschwerde ihre Niederlage noch in einen Sieg im Kampf um Filosofie und Schifffahrt umwandeln. „Ich glaube, ganz Deutschland wartet auf eine solche Entscheidung“, sagte Gunda Diercks-Elsner, die gegen die Umsetzung der Rechtschreibreform auf ihr Elternrecht gepocht hatte. Auch der Kreuzfahrer wider die Reform, der Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk, setzt auf das Verfassungsgericht. Er nannte die Schleswiger Richter „weltfremd“.

Schleswig-Holsteins Landtag will ein Volksbegehren zur umstrittenen Rechtschreibreform zulassen. Dazu müssen die Gegner der Reform 106.000 Unterschriften sammeln. Dann könnte ein Volksentscheid stattfinden. Harry Nutt

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